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Im Land der gefiederten Schlange

Im Land der gefiederten Schlange

Titel: Im Land der gefiederten Schlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: carmen lobato
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niemand, oder wenn es jemand wusste, würde er es Benito nicht sagen. Möglich war, dass sie das gesamte Regiment nach Norden schickten, aber angesichts der langen Wege war das wenig wahrscheinlich. Darüber hinaus wusste Benito etwas, das er lieber nicht gewusst hätte: Es hieß, Santa Annas Kundschafter hätten einen von Taylors Kurieren abgefangen und ihm die Information entlockt, eine Landung in Veracruz stünde unmittelbar bevor.
    Statt den verlorenen Kampf im Norden aufzugeben und alle verfügbaren Kräfte der bedrohten Stadt zu widmen, Mexikos schönem, verwahrlostem, stinkendem, vor Leben berstendem Hafen, hatte Santa Anna entschieden, die Schlacht um die Grenze werde fortgesetzt. Veracruz – sein Veracruz, das ihn in die Arme gerissen und ihm zugejubelt hatte – sollte sich mit den kümmerlichen Truppen behelfen, die ihm verblieben waren.
    Am Wahrheitsgehalt des Gerüchts hatte Benito keinen Zweifel. Es passte zu Santa Anna wie die Musketenkugel in die Stirn. Und es passte zu dem, was sich während dieser letzten Februarwochen in der Hauptstadt ereignet hatte. Präsident Farias, dem der Hafen samt seiner Bewohner zumindest nicht gleichgültig war, hatte ein Regiment, das Los Polkos genannt wurde und für seine konservative Haltung bekannt war, aus Mexiko-Stadt nach Veracruz beordert. Was daraufhin geschehen war, hätte womöglich in keinem Land der Welt geschehen können, nur in diesem, das sich in seinen Widersprüchen zerfleischte. Die Polkos weigerten sich, dem Befehl des Präsidenten Folge zu leisten, da dieser ein ketzerischer Feind der Kirche sei und somit frommen Katholiken nichts zu befehlen habe.
    Der Geschmack in Benitos Mund wurde so bitter, dass er spucken musste. Das war also der Krieg, von dem sein Bruder sich erhofft hatte, er werde die Fetzen des zerrissenen Landes vereinen. Ein Präsident löste den anderen ab, und jede Heereseinheit gehorchte nur dem, der ihr gefiel. Dein Zynismus frisst dich auf, hatte Miguel zu ihm gesagt, doch in Wahrheit war er es, der aufgefressen wurde, Miguel, dem jeglicher Zynismus fremd war. Zugleich musste sich Benito eingestehen, dass der Zynismus in ihm nicht mehr so schmerzhaft brannte. Weil ich Katharina habe, die ich nicht haben darf. Weil sie wahnsinnig waren und weil der Wahnsinn, anders als der Zynismus, warm und amüsant, voll Zärtlichkeit und voll Leben war.
    Erleichterung erfüllte Benito, als er nach Einbruch der Dunkelheit die Wegkuppe vor dem Felszugang erreichte. Aus dem Tal glomm der Widerschein von Feuern, und im Spalt sah er den treuen Carlos auf Wache. Sein Bruder war noch dort! Er war nicht zu spät gekommen. »Wir haben Sie nicht erwartet«, begrüßte Carlos ihn lächelnd. »Gibt es für Ihren Besuch einen besonderen Grund?«
    Gab es einen? Einen anderen als den Wunsch, Miguel noch einmal eine Flasche Mezcal, ein bisschen Tabak und ein billiges Schweißtuch zu bringen, von dem er behaupten würde, Inez habe es umsäumt? Lumpige Gaben, die ihn sein Mietgeld gekostet hatten, und für die Mole Poblano hatte es nicht einmal gereicht. »Nein, es gibt keinen«, sagte er zu Carlos. »Ich wollte nur gern meinen Bruder sehen.«
    »Sie wissen es also? Dass wir versetzt werden?« Die Angst in seiner Stimme war unüberhörbar.
    »Ja, ich weiß es«, antwortete Benito und war dankbar, dass Carlos ihn diesmal nicht bat, sich um seine Base zu kümmern. Er fürchtete, sich zu vergessen, sobald Inez’ Name fiel.
    Sie hatte versucht ihn zu erpressen, anders ließ es sich nicht bezeichnen. Sie habe ihn mit Katharina gesehen, behauptete sie, und wenn er sich nicht endlich entscheide, ein bisschen nett zu ihr zu sein, wisse sie, wem sie von diesem Techtelmechtel zu erzählen habe. Benito hatte erwidert, sie solle sich nicht lächerlich machen, in Katharinas Elternhaus werde man ihr höchstens einen Tritt, aber keinen Glauben schenken. Er konnte nur hoffen, dass sie sich davon entmutigen ließ, auch wenn sie ihm hinterdreingerufen hatte, sie sei eine Jägerin mit Pfeil und Bogen, und ihr Köcher sei noch lange nicht leer.
    Eine Giftschlange war sie, eine Mokassinotter, die in Trockenwäldern wie in den Marschen der Küste überlebte, weil sie sich überall anpasste. Carlos, der wohl bemerkt hatte, wie weit seine Gedanken abgeschweift waren, klopfte ihm auf die Schulter. »Ich rufe Ihren Bruder, soll ich?«
    Benito dankte ihm, und Carlos rief Miguels Namen in Richtung der Feuer. Kurz darauf kam der Bruder den Pfad hinauf und fiel Benito um den Hals. »Morgen

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