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Im Land der gefiederten Schlange

Im Land der gefiederten Schlange

Titel: Im Land der gefiederten Schlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: carmen lobato
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Gesicht, das keinen Schmerz fühlte. Sie holte aus. Noch immer durch Schleier sah sie, wie seine Hand in die Höhe schoss, um ihre abzufangen, doch im letzten Augenblick ließ er sie fallen. Mit ganzer Kraft prallte ihre Hand auf seine Wange. Es tat ihr weh, und es machte ein entsetzliches Geräusch.
    Die Schleier zerrissen. Das Pferd scheute und stieß ein Wiehern aus. Benito trat zu ihm und strich ihm beruhigend den Hals. Dann wandte er sich wieder Katharina zu. Sein Gesicht war kühl und schön, wie in Holz geschnitten. »Besten Dank, meine Dame. Habt Ihr Euren Knecht zur Zufriedenheit bestraft? Darf ich gehen?«
    Sie stand starr da und sah ihn an. Das schwarze Haar, das ihm in die Stirn fiel, die geschwungenen Linien der Brauen, die langen Lider, die Augen. Ihr Körper kam ihr vor wie die Luft, die völlige Windstille, zu schwer, sich zu bewegen. Nach ein paar Atemzügen stieg er aufs Pferd und ritt davon.

20
    Die Windstille war ein untrügliches Vorzeichen. Binnen Stunden brach ein Sturm los, wie Veracruz ihn seit Jahren nicht gesehen hatte. Dort, wo sie lagen, fanden sie unter den Kronen der dichtgedrängten Zypressen zumindest ein wenig Schutz vor dem peitschenden Regen. Capitán Ruiz befahl ihnen, sich auf Taschen, Gurte und Büchsen zu legen, um die kostbare Munition vor Nässe zu bewahren. »Das Wetter ist unser Segen«, bellte der Capitán durch Prasseln und Pfeifen. »Solange es anhält, bringen die Gringos keine Kanone vor die Stadt. So bald wie möglich rücken wir aus und greifen an. Zerstreute Ordnung! Darauf verstehen die sich nicht. Wir machen ihnen die Hölle heiß.«
    Der Gefreite Carlos Ximénes kroch zurück in die Grube unter den verzweigten Damianasträuchern, wo Miguel Alvarez auf ihn wartete. Da Carlos keine Schwester hatte und Miguel mit seiner Base verlobt war, war er so etwas wie ein Schwager für ihn. Er mochte ihn gern. Einen so herzlichen, offenen Kerl wie Miguel, noch dazu einen, der ihm die Sorge um Inez abnahm, hätte Carlos ohnehin gemocht, aber in einem Krieg, in dem man nebeneinander in Gruben lag und dazwischen Platz für den Tod machte, mochte einer den anderen noch mehr, auch wenn er ihm auf die Nerven ging. Immer, wenn sie etwas zu trinken hatten, gelobten sie einander feierlich, dass der eine sich um des anderen Familie kümmern würde, falls dieser für Mexiko sterben sollte.
    »Und wenn wir beide sterben, Miguel?«
    »Wir sterben doch nicht beide! Wir kommen als Helden zurück, ich heirate meine Inez, und du führst sie mir zum Altar. Und dann gehen wir heim nach Querétaro und kaufen uns ein Stück Land. Unser eigenes Land, mein Carlos. Sag, wird das nicht besser als das Himmelreich Omeyocan, besser als der Sonnenweg?«
    »Aber ja«, erwiderte Carlos, dem es nie gelang, sich so vollendet zu betrinken wie Miguel. »Aber wenn wir nun doch sterben …«
    »Dann begleiten wir die Sonne auf ihrem Weg vom Zenit bis zur Morgenröte wie alle tapferen Mexica-Krieger.« Miguel grinste, doch gleich darauf befiel ihn das Zittern, an dem er immer häufiger litt, und er musste noch mehr trinken. Carlos gab ihm den Rest aus seinem Napf. »Und überhaupt«, stammelte der Freund mit klappernden Zähnen, »um deine Base brauchst du dich, selbst wenn wir sterben, nicht zu sorgen, denn dann kümmert sich mein Bruder um sie. Und was in meinem kleinen Bruder steckt, das weißt du nicht, das weiß kein Mensch außer mir. Wenn der was anfängt, kannst du drauf wetten, dass er’s ordentlich zu Ende bringt.«
    Das beruhigte Carlos. Jedes Mal aufs Neue. Miguels Bruder war zu Höherem bestimmt und würde schneller Offizier sein als sie alle. Wenn Miguel ihm Inez ans Herz gelegt hatte, würde es dem widerspenstigen Fohlen an nichts mangeln.
    »Ich hab ihn aufgezogen, weißt du?«, murmelte Miguel und starrte auf seine Hände, die in den schönen Reithandschuhen steckten. »Bei den verdammten Deutschen. Das ist das Einzige, was mir im Leben gelungen ist.«
    »Ist dir gut gelungen, Miguel. Wirst einen prächtigen Vater abgeben.«
    »Ja, das hab ich vor. Zwei kräftige Burschen, wie mein Bruder und ich es waren, und ein Mädchen wie meine Schwester, das würde mir gefallen. Carlos?«
    »Miguel?«
    »Meine Handschuhe – bringst du die zurück, wenn doch was passiert? Sind ein Geschenk von meinem Paten Vicente, mächtig feines Leder. Mein kleiner Bruder, der könnte die gut brauchen.«
    »Versprochen«, rief Carlos, und dann wurde ihr Gespräch im Tosen des Sturms zu mühevoll. Ihre Kleider waren

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