Im Land der gefiederten Schlange
zog ihn an sich, unterdrückte den Anflug von Beklommenheit. »Ich werde dich immer lieben, Benito. Weißt du das?«
»Nein«, sagte er, »das kann ich ja nicht wissen. Aber dass du es glaubst, ist schön. Wir müssen uns jetzt in diese Säcke wickeln, damit uns die Kälte nicht fertigmacht. Und mehr Wein sollten wir auch trinken, damit wir nicht beginnen nachzudenken. Wenn es aber gutgeht, wenn wir da draußen noch etwas vorfinden, mit dem wir weiterleben können – willst du es dann versuchen, selbst wenn uns die Llorona holt? So tun, als wärst du nicht meine Herrin und ich nicht dein Knecht und als ginge uns das, was irgendwer vor uns getan hat, nichts an, sondern nur das, was du mit mir tust und ich mit dir?«
Sie sagte lange nichts, sondern genoss jedes seiner Worte, wiederholte sie sich, bis sie vor Glück auflachte. Wie konnte man so glücklich sein inmitten von so viel Verzweiflung? Oder konnte man nur inmitten von Verzweiflung glücklich sein, weil man es sonst vergaß? Übermütig packte sie ihn bei den Ohren. »Hör mal, mein Liebster, wenn das eure Nahua-Art ist, solche Frage zu stellen, dann lass dir gesagt sein: Der Ichsager ist dafür auf die Knie gegangen, und du schuldest mir mindestens dasselbe.«
»Ich nütze dir nicht einmal auf Knien, also kann ich auch sitzen bleiben«, entgegnete er. »Mein liebstes, verrücktes Mädchen, wenn der Krieg je ein Ende hat, gehe ich auf die Universität. Ich werde etliche Jahre studieren und keinen Centavo besitzen, du verlierst deine Familie, und meine wird nicht nett zu dir sein, und als wäre das alles nicht genug, habe ich meinem Bruder versprochen, mit ihm als Bauer nach Querétaro zu ziehen …«
»Nach wo?« Dunkel erinnerte sie sich – es war das schöne Wort.
»Das ist genug jetzt«, sagte er und küsste ihre Augen. »Trink Wein. Für einen einzigen Tag ist das genug.«
»Wein will ich. Aber in dieses Querétaro gehe ich trotzdem mit dir. Wenn es sein muss, sogar mit deinem Bruder oder mit dem Mädchen, mit dem du bei den Temperleys turtelst.«
»Inez«, unterbrach er sie. »Miguels Verlobte. Ehe ich mit der turtle, hänge ich mir eine Grubenotter um den Hals. Ich muss ein Auge auf sie haben, also habe ich sie dort untergebracht.«
»Bei Stefans Georgia?«, fragte Katharina, der alle Georgias und Inez’ der Welt gleichgültig waren.
Er überlegte. »Ja«, sagte er zögernd. »Bei Stefans Georgia.«
Müdigkeit befiel sie. Sie schloss die Augen und lehnte sich an ihn. Er breitete Säcke und Kleider um sie und gab ihr Wein, damit sie schlafen konnte. Weit entfernt hörte sie Schüsse und noch einmal einen Schrei. »Das Wort ist so schön«, sagte sie.
»Welches? Georgia?«
»Querétaro«, murmelte sie, küsste ihn auf den Mund und schlief ein.
22
Eines Tages würde es in den Geschichtsbüchern stehen: Am Nachmittag des 22 . März 1847 , eine Viertelstunde nach vier, eröffneten Truppen der Vereinigten Staaten das Feuer auf die Stadt Veracruz. Die ersten Treffer erfolgten auf der Plaza de las armas, dem Zócalo der Stadt.
Zu dieser Zeit war Marthe mit ihrer Schwägerin Dörte nach Hause gekommen. Dörte hatte Verschiedenes für den Empfang der Brauteltern besorgen müssen, und Marthe hatte sie begleitet. Offiziell, um ihr mit Rat zur Seite zu stehen, in Wahrheit jedoch, weil Dörte kaum Geld hatte. Es tat ihr gut, die Großzügige zu spielen, sich Brokatband abmessen zu lassen und auszurufen: »Ach, lass doch mich das für die liebe Luise kaufen, ich bin als Tante schließlich auch in der Pflicht.«
Warum es ihr so gut tat, wusste sie nicht. Vielleicht, weil es ihr das Gefühl gab, Dörte sei ihre Freundin, sie beide, während sie eingehakt durch Alleen schlenderten, wären fast wie Schwestern. Als sie mit Paketen beladen die Siedlung erreichten, war es damit allerdings vorbei. Dörte begann über die Hitze zu klagen, obwohl sonst sie von ihnen allen das Klima am besten ertrug.
»Komm doch auf einen Sprung mit herein«, schlug Marthe vor. »Die Sanne macht uns Limonade, und wir planen ein bisschen für Luises großen Tag.«
»Sei mir nicht böse«, erwiderte Dörte, »aber ich möchte lieber heim. Ich muss dir etwas sagen, Marthe, ich bekomme noch einmal ein Kind. Fiete ist natürlich im siebenten Himmel, aber mir wird es mit meinen fünfundvierzig Jahren doch beschwerlicher als früher.«
Marthe war zumute wie nach einem Schlag in den Bauch. Jahrelang hatte sie sich nichts sehnlicher gewünscht, als mit dieser Nachricht vor die
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