Im Land der gefiederten Schlange
wucherten, und den Faltern, die wie aus schwarzem Spitzenstoff darüber flatterten, mit einem Mal einen Zauber, der Christoph das Herz zusammenpresste. Er verbarg sich hinter dem Stamm einer Zypresse. Er brauchte nicht lange zu warten.
Von seinem Platz hatte er nur Kathi, nicht das Tor im Blick, doch dass jemand kam, war nicht schwer zu bemerken. Mit einem Jauchzen sprang Kathi auf und lief ihm entgegen. Vorsichtig wagte Christoph sich einen Schritt weit aus der Deckung.
Es war, als würde die Zeit um sechzehn Jahre zurückschnellen. Als sähe er noch einmal seinen schlimmsten Alptraum in Fleisch und Blut. Seine Schwester, auch wenn die kraftvolle dunkelhaarige Katharina mit seiner zarten Schwester nichts gemein hatte, in den Armen eines Mannes, der sie niemals haben durfte. Sie stand mit dem Rücken zu ihm, das lange Haar im Abendwind tanzend, sie reckte sich, und der Mann hielt den Kopf geneigt, um sie zu küssen. Was für ein Bild von einem Kerl, dachte Christoph nicht ohne Neid. Als hätte er den Verstand verloren.
Vage kam der Mann ihm bekannt vor, doch das mochte eine Täuschung sein. Kathi hob die Hand und liebkoste dem Mann die Wange. Die kleine Geste war erfüllt von innigster Zärtlichkeit. Es waren die beiden, die Unrecht taten, und doch kam sich Christoph, der ihnen zusah, unsäglich schäbig vor.
Er würde sie zur Rede stellen, ihnen das Versprechen abnehmen, sich nie wieder zu sehen. Vielleicht ließ sich für diesmal die Katastrophe aufhalten. Katharina, würde er sagen, tu das deiner Mutter nicht an, oder du bringst sie um. Du bist jung, du kannst noch einmal lieben, deine Mutter aber hat nur dich.
Vielleicht hätte er es wirklich gesagt, hätte nicht gleich darauf jemand Kathis Namen gerufen. Es war eher ein Heulen als ein Rufen, »Kathi, Kathi«, dann ging es in ein Wimmern über, das einem Tier, keinem Menschen zu entstammen schien. Aber es war ein Mensch und kein Tier, der da wimmerte. Es war seine Jo.
Katharina und der Indio fuhren auseinander. Christoph sprang vor, vergaß die Deckung, aber niemand achtete auf ihn. Die beiden liefen Jo entgegen, die auf allen vieren, wahrhaftig wie ein Tier, auf das Gelände kroch. Ihr Haar hing ihr übers Gesicht, als hätten Hände versucht es ihr vom Kopf zu reißen, und was einmal ihr Kleid gewesen war, schleifte in Fetzen auf dem Boden. Im Nu war der Indio bei ihr, fiel hart auf die Knie und zog sie in seinen Schoß, damit sie nicht länger auf der verbrannten Erde lag. Wie zum Schutz schloss seine Hand sich um ihren Hinterkopf. »Josephine«, wollte Christoph schreien, doch aus seinem Mund kam der Name seiner Tochter nur geflüstert.
Sobald Katharina ebenfalls niedergekniet war, hob der Indio Jos Oberkörper behutsam hoch und bettete sie statt auf seinen auf Kathis Schoß. Erst jetzt löste sich Christoph aus der Schreckstarre und war in der Lage, loszueilen. Im Laufen hörte er das grauenvolle Weinen seiner Tochter. »Kathi, Kathi. Ich bin geschändet worden.«
25
Pedro Maria Anaya, die Farce von einem Präsidenten, die Santa Anna ernannt hatte, appellierte an die patriotischen Herzen im Land, sich zum Kampf der Guerilla zu melden. Benito legte eine Hand auf sein Herz und stellte fest, dass es kräftig schlug, aber wie prüfte man, ob das Herz patriotisch war? Im Untergrund fungierte er weiter als Kurier, denn immerhin kam er auf diese Weise verlässlich an Nachrichten und konnte reinen Gewissens den Schimmel behalten. Er empfand für die zerschlagene Stadt vor seinem Fenster eine Liebe, die ihn verblüffte, und dass man sie geopfert hatte, erfüllte ihn mit blankem Zorn. Aber machte ihn das zum Patrioten? Er würde sich nicht zum Kampf der Guerilla melden. Stattdessen wünschte er sich, dass Mexikos Niederlage offiziell besiegelt wurde, dass der Krieg ein Ende nahm und die Menschen die Trümmer ihres Lebens auflesen konnten. Aller Vernunft nach durfte es bis dahin nicht mehr lange dauern.
Am 13 . September hatten Scotts Truppen die Festung von Chapultepec angegriffen, und trotz des todesmutigen Widerstandes, den die blutjungen Kadetten der Militärschule ihnen entgegensetzten, war die Schlacht im Nu entschieden. Als Heldenkinder feierte man die Toten, die für Mexiko hätten leben sollen, statt für es zu sterben. Am nächsten Morgen zog das Heer der Vereinigten Staaten in Mexikos Hauptstadt ein.
Warum wurde weitergekämpft, warum nahm Santa Anna das Friedensangebot nicht endlich an? Dass Präsident Polk bald die Hälfte des mexikanischen
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