Im Land der gefiederten Schlange
Territoriums forderte, klang unannehmbar, aber in Wahrheit wusste jeder, der sich die Lage nicht schönschwatzte, dass es keine Wahl gab. Wann Polk die Gebiete in die Hände bekam, war nur eine Frage der Zeit, und Zeit konnte Leben retten.
Benito wollte an anderes denken als an Krieg und Tod. An Zukunft und Leben. Wenn er noch ein Jahr lang das üppige Gehalt der Temperleys bezog, wenn Miguel und Carlos wiederkamen und Arbeit fanden, hätte er zumindest für die erste Zeit des Studiums genug zusammen. »Wie soll ich das denn aushalten?«, hatte Katharina gefragt, und er fragte sich jetzt immer häufiger dasselbe, obwohl er es ihr tunlichst verschwieg. Wenn man in Worte fasste, was sie taten, klang es falsch und wie ein Verbrechen, aber es fühlte sich vollkommen richtig an. Sie waren gut füreinander, sie machten einander stark. Er konnte sich um seine vor Furcht kranke Mutter kümmern und Katharina sich um ihre arme Base. Bei Josephine gab sie sich stark und zuversichtlich, bei ihm ließ sie der Angst und der quälenden Reue freien Lauf.
»Manchmal denke ich, Jo wird nie wieder sprechen, Benito, geschweige denn wieder lachen. Es ist so ungerecht! Warum bin ich davongekommen und die arme Jo nicht?«
Weil ich jeden töten würde, der dir das antäte, dachte er, fand sich albern, zweifelte aber nicht am Wahrheitsgehalt des Gedankens. »Das Leben ist ungerecht, mein Herz. Josephine würde es nicht bessergehen, wenn dir dasselbe geschehen wäre.«
»Aber ich bin doch schuld! Du hast mir hundertmal eingeschärft, ich soll sie warnen, und ich habe es einfach vergessen!«
»Nein, Ichtaca«, sagte er und nahm ihr Gesicht in die Hände. »Schuld daran, dass Mädchen vergewaltigt werden, sind die Schweine, die es tun. Nicht andere Mädchen, die ihre Familie durch einen Krieg zu bringen haben und dabei ab und an Fehler begehen.«
Der Kuss, den sie ihm dafür gab, berauschte ihn. Das Gefühl, von Menschen gebraucht zu werden, kannte er sein ganzes Leben, aber das, was er bei ihr hatte, war neu. Sie brauchte ihn, und er enttäuschte sie nicht. »Ich habe dir versprochen, dich ziehen zu lassen«, sagte sie zwischen flaumweichen Küssen auf seine Wangen, »aber ich fürchte, ich habe dir zu viel versprochen. Ich halte es nicht aus, mein Liebling, ich halte es einfach nicht aus.«
Er musste lächeln, weil er alles, was in ihr steckte, so gern mochte, auch das trotzige, verwöhnte Kind, das am liebsten mit dem Fuß gestampft hätte. »Vorerst sind deine Freunde, die Amerikaner, ja noch da und lassen mich nicht raus.«
»Aber dann, Benito? Musst du dann wirklich gehen?«
»Nicht sofort. Aber bald. Wie soll ich sonst wiederkommen, ehe ein schöner nordischer Prinz mir dein Herz stiehlt?«
Sie schlug ihm auf den Mund, rührend darauf bedacht, ihm nicht weh zu tun. »So einen Unsinn will ich nicht hören. Du beleidigst mich damit, weißt du das?«
»Eigentlich nicht. Ich mache dir ein Kompliment. Auch wenn es dir verborgen sein sollte, mir ist bewusst, dass du unter allen erdenklichen Heiratskandidaten die Wahl hättest.«
»Ich habe aber meine Wahl schon getroffen, Señor. Glaubst du wirklich, ich könnte das, was ich mit dir habe, von irgendeinem anderen bekommen?«
»Ja«, erwiderte er ehrlich und begrub den Schmerz, den das Wort auslöste, tief in seinem Herzen.
Sie gab ihm noch einen Klaps. »Dann bist du dümmer, als ich gedacht habe, und bestimmt nicht klug genug, um ohne deine Liebste auf die Universität zu gehen.«
»Wer ist dazu schon klug genug?«
»Verdammt, nimm mich ernst. Im Frühjahr bin ich sechzehn, und heiraten hätte ich schon mit zwölf gedurft, solange mein Vater die Erlaubnis erteilt.«
»Soll das ein Witz sein? Eher erteilt er dem Papst die Erlaubnis, seine Großmutter seligzusprechen.«
»Ich könnte meinen Onkel fragen. Er hat mich nicht zur Rede gestellt, Benito, bis heute nicht.«
»Und du meinst, wenn wir erst verheiratet sind, wird dein Vater die Giftkröte schlucken? Er würde deinen Onkel dafür hassen, Ichtaca. Außerdem gäbe dein Onkel uns die Erlaubnis auch nicht, und dich stellt er nur deshalb nicht zur Rede, weil seine Tochter vergewaltigt worden ist und er an nichts anderes denken kann.«
Wie so oft warf sie die Arme um ihn und presste ihn an sich. »Ich sollte ihnen allen erzählen, wovor du mich gerettet hast und dass du verdammt noch mal ihre Achtung verdienst.«
Er küsste ihr Ohr. »Für sie ist das nicht retten, meine Liebste, sondern den Teufel mit dem Beelzebub
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