Im Land der gefiederten Schlange
Josephine. »Aber da du dich entschieden hast, dich von der Familie zu trennen, habe ich keine Wahl. Deine Entscheidung gilt nur für dich, Kathi. Du kannst sie nicht Stefan und Felice aufzwingen, das wäre nicht gerecht.«
»Ah, ich verstehe.« Viel zu laut hallte Katharinas Stimme in die Nacht. »Wenn Stefan und Felice sich also für mich entscheiden, werden sie aus der Familie verstoßen – ist das so?«
»Nicht ganz«, sagte Josephine. »Für Felice entscheide ich.«
»Kathi!«, rief Stefan hilflos.
Katharina fuhr herum und sah ihn im Portal des Palais stehen, im schwachen Lichtschein, der aus der Halle drang. »Wie es aussieht, musst du deine Entscheidung treffen«, warf sie ihm hin. »Dass ihr Felice von mir fernhaltet, erscheint mir grausam, aber Felice ist kein kleines Kind mehr. Sie wird erwachsen, und das eine verspreche ich dir.« Sie nahm das Gesicht des Mädchens in die Hände und sah ihm fest in die Augen. »Ich liebe dich, Feli. Und ich bin kein Mann, ich vergesse das nicht nach einem halben Jahr. Auch wenn sie dich bis nach Baja California bringen – ich werde nach dir suchen, und ich werde dich finden.«
»Kathi«, kam es noch einmal von Stefan, diesmal den Tränen nahe. »Auch das ist nicht so, wie du denkst!«
»Es ist mir gleichgültig«, entgegnete Katharina, erneut von Müdigkeit gepackt. »Felice und ich sind uns einig, und was du tust, musst du selbst wissen. Gehst du mit Jo, oder bleibst du bei mir?«
»Kannst du nicht mitkommen, Kathi? Alle warten doch darauf.«
»Ich warte auch. Darauf, dass jemand mir die Wahrheit sagt.«
»Aber Christoph hat dir doch die Wahrheit gesagt!«
»Das hat er nicht. Zumindest hat seine Wahrheit mehr Löcher als Balken. Jetzt entscheide dich, Stefan. Wenn wir heute noch unsere Verlobung bekanntgeben wollen, sollten wir es tun, ehe dort drinnen niemand mehr stehen kann. Und wenn nicht, würde ich mich gern schlafen legen.«
Sie küsste Felice auf die Wange und sandte sie mit einem sachten Stoß auf den Weg. Felice zögerte, doch als Katharina ihr zunickte, ging sie hinüber zu ihrer Mutter. Der Müdigkeit zum Trotz schlug Katharina das Herz bis in die Kehle, während sie zusah, wie Stefan sich die Stirn rieb und mehrmals den Mund öffnete, um dann doch nichts zu sagen. Schließlich ließ er den Kopf hängen und trottete mit schleppenden Schritten Josephine entgegen. Katharina blieb stehen und blickte den drei Gestalten nach, bis sie in der Dunkelheit verschwanden. Dann drehte sie sich um und ging zurück ins Haus, zu benommen, um etwas anderes als Erschöpfung zu fühlen.
39
Am 27 . Mai 1864 , zwei Wochen nach Martinas Verlobung, landete ein österreichisches Kriegsschiff namens Novara im Hafen von Veracruz. An Bord trug es den Bruder eines europäischen Kaisers, von dem die französische Besatzungsmacht ebenso wie die von ihr eingesetzte Interimsregierung behauptete, er sei der durch Volksabstimmung erwählte Kaiser von Mexiko.
Katharina kannte niemanden, der zu solcher Abstimmung aufgefordert worden war, und Martina beteuerte, es sei auch nie eine durchgeführt worden. Nichtsdestotrotz befand sich der Kaiser auf dem Weg nach Mexiko-Stadt. Er wollte im Nationalpalast residieren und außerdem das Schloss von Chapultepec, das den Vizekönigen der Spanier als Wohnsitz gedient hatte, in Besitz nehmen. An beiden Residenzen wurde beflissen gebaut. Die in den Straßen aufgehängten Konterfeis des blonden Mannes vermehrten sich täglich, und dem Widerstand drohten drakonische Strafen. Bei Cuernavaca, dreißig Meilen südlich, hoben französische Truppen ein Versteck der Guerilla aus. General Bazaines Beauftragte gaben öffentlich bekannt, man habe die Männer erschießen und ihre Helfershelfer auspeitschen lassen.
Drei Tage vor der geplanten Ankunft des Kaisers riefen die Damen des Komitees Katharina in ihr Sprechzimmer, um ihr mitzuteilen, was man von ihr erwartete. »Wir legen Wert darauf, festzuhalten, dass Angehörigen des Stabes von Maximilian von Habsburg der Zugang zum Deutschen Haus verwehrt wird«, erklärte die Vorsitzende. »Das Komitee der Herren hat so entschieden, und wir sind selbstverständlich derselben Ansicht.«
Katharina fühlte sich verwirrt. Die Vorsitzende sprach ständig von ihren Plänen zur Erweiterung des Deutschen Hauses, für die es jedoch an Mitgliedern fehlte. Weshalb nahm sie den Zuwachs aus Europa nicht mit offenen Armen auf? »Sprechen die Leute, die da erwartet werden, denn kein Deutsch?«, fragte sie und kam sich
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