Im Land der gefiederten Schlange
dümmlich vor.
»Deutsch sprechen sie wohl«, belehrte sie die Vorsitzende, »aber sie sind keine Deutschen. Bei den meisten von ihnen dürfte es sich um katholische Österreicher handeln, andere könnten den übrigen Teilen des Kaiserreichs entstammen, von denen uns keines willkommen ist. Ihnen als Leiterin unserer Mädchenklasse sollte ich das nicht eigens sagen müssen. Kein in die Fremde verpflanztes Volk kann seine Überlegenheit bewahren, wenn es nicht auf strengste Abgrenzung achtet.«
Katharina entgegnete nichts. Irgendwann, wenn in ihrem Kopf wieder Platz war, wollte sie über diese Aussage nachdenken.
»Somit dürfte die Frage geklärt sein«, fuhr die Vorsitzende fort. »Des Weiteren wünschen wir, dass Sie die Mädchenklasse zum Empfang des Maximilian auf den zentralen Platz der Stadt führen. Sie unternehmen ja grundsätzlich gern Ausflüge mit der Klasse, und wir möchten nicht den Eindruck erwecken, hier herrschten Sympathien zugunsten liberaler Elemente. Die Gemeinschaft der Mexiko-Deutschen verhält sich in Fragen der mexikanischen Politik wie von je her strikt neutral.«
Diese Anweisung war Katharina recht. Zum einen war es ihr ein Anliegen, dass die Mädchen an Ereignissen des Stadtlebens teilnahmen, und zum anderen war sie selbst neugierig. Nur ein Gedanke quälte sie. Letzten Endes überwand sie ihren Stolz und schrieb einen Brief an Josephine und Stefan, in dem sie bat, Felice die Teilnahme an dem Ausflug zu erlauben. Es sei nicht recht, das Mädchen vom Leben auszuschließen, und sie verspreche, sie abends im Deutschen Haus an Stefan zu übergeben.
Die Antwort gab Stefan ihr persönlich, als er sie zwei Tage später vor der Klasse stellte. »Felice kommt, Kathi«, rief er ihr entgegen. »Bitte lass mich doch mit dir reden.«
Katharina bedankte sich und ging ohne ein weiteres Wort an ihm vorbei. Sie musste darauf hoffen, dass er nicht Felice für die Abfuhr büßen ließ, denn mit ihm sprechen konnte sie nicht. Viel zu tief fühlte sie sich von seinem Verrat verletzt.
Der riesige Platz war schwarz vor Menschen. Dass sich so viele – gewiss hunderttausend – aufmachen würden, um den Kaiser zu sehen, hätte Katharina nicht erwartet, andernfalls hätte sie um eine weitere Begleitperson gebeten. Es schien unmöglich, die neun Mädchen ihrer Gruppe im Auge zu behalten. Auf den Rest des Geschehens erhaschte sie nicht mehr als flüchtige Blicke. In einer endlosen Kolonne war der Kaiser auf den Platz geleitet worden. Seiner Staatskarosse voran ritt das Regiment der mexikanischen Ulanen unter Befehl des konservativen Coronel López, und neben der Kutsche ritt General Bazaine. Dem Wagen folgten französische Kompanien zu Fuß und zu Pferd, die lauthals Marschlieder sangen. Mehr als fünfzig weitere Equipagen mit hohen Regierungsbeamten, kirchlichen Würdenträgern und Offizieren schlossen sich an.
Der Zug durchmaß den Platz und zerschnitt die Menge, wie eine Pflugfurche ein Feld teilte. Vor der Kathedrale kam alles zum Stillstand, weil Kaiser und Kaiserin im Innern ein Tedeum hören wollten. Währenddessen spielte ein Orchester vor dem Portal ein wuchtiges Stück mit donnerndem Paukeneinsatz. »Das ist die Kaiserhymne!«, verkündete Hanne stolz und versuchte sich zwischen zwei Herren hindurchzudrängen. Um jeden Preis wollte sie einen besseren Platz ergattern, ehe das Kaiserpaar wieder ins Freie kam.
»Ihr bleibt alle zusammen!«, rief Katharina und versuchte die Enteilende am Arm zu erwischen, aber Hanne hatte sich bereits in die Lücke gezwängt. Einzig Felice hielt sich an ihrer Seite. Ihr war sichtlich mehr an Katharinas Nähe als an dem Spektakel um den Kaiser gelegen. Die übrigen Mädchen hingegen glichen einem Haufen Rotdeckenkäfer, in den man mit einem Stock stach. Dazu kam, dass die Stimmung Katharina mit Beklommenheit erfüllte. Wirkte der Jubel nicht verhalten, lauerte nicht etwas Gespanntes in der Luft, das sich jederzeit entladen konnte? »Grete, hol deine Schwester zurück«, befahl sie der jüngeren von Helenes Töchtern, aber während diese ihre Schwester am Schlafittchen packte, entschlüpfte die kleine Gesine nach der Seite, und Katharina musste ihr hinterherjagen.
So ging es eine Weile, bis sie notgedrungen einwilligte, sich gemeinsam näher an die Kathedrale heranzuschlängeln. »Aber nur, wenn wir uns an den Händen halten«, schärfte sie den Mädchen ein, gebot Felice, voranzugehen, und übernahm selbst den letzten Platz. Hanne murrte, mit Felice an der Spitze
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