Im Land der gefiederten Schlange
ließ sich alles Verstörende übertönen. Sie gab sich hin, schloss halb die Augen, spürte Valentins Arm, der sie stützte, und die bewundernden Blicke, die wohltaten.
Es war ein wundervolles Fest, alles floss in Strömen, und das Tanzorchester aus einer Bar in der Vorstadt galt unter der Hand als das schmissigste der Stadt. Martina war wie immer überschwenglich und unwiderstehlich, aber vielleicht ein wenig stiller, vielleicht erschöpft vom Glück. Katharina und Valentin tanzten, bis ihre Beine eine Pause forderten, tranken Champagner und tanzten weiter. »Ich bin dir verfallen«, raunte er ihr zu, als er sie nach einer vollen Umdrehung wieder zu sich zog. »Du hast mich verzaubert, ich weiß nicht mehr, wie ich ohne dich gelebt habe.«
Katharina hätte ihm gern zur Antwort gegeben, dass sie ein Kind von ihm wollte. Den einen Schritt will ich mit dir gehen, den ich noch nie gegangen bin. Dich und mich zusammenschmieden, dass uns kein Krieg und keine zweifelhafte Herkunft auseinanderreißen können und dass von unserer Liebe etwas bleibt.
Und dann war der tröstliche Taumel mit einem Schlag zu Ende. Gerade führte Valentin sie einmal mehr von der Tanzfläche, um zu trinken und sich zu erholen, als er wie in Bann geschlagen stehen blieb. »Der da«, stieß er aus und wies mit dem Kopf nach vorn. »Das ist der Mann.«
»Was für ein Mann denn, Liebster?« Der Saal wimmelte vor Männern, die im Takt der neu einsetzenden Musik ihre Damen herumwirbelten.
»Der Advokat von Romero«, erwiderte Valentin mit starrer, fremder Stimme. »Der, der mir in Michoacán mit der Machete gegenüberstand.«
Im ersten Augenblick hörte Katharina nur Machete, verspürte einen Anflug von Übelkeit und musste ihre Hand auf Valentins Herz legen. Dann aber sah sie ihn. Am Rand der Tanzfläche, im Gespräch mit einer buntgemischten Schar von Gästen. Eine junge Frau legte ihm die Hand auf die Schulter. Er hob eine Braue und sagte etwas. Die Frau warf den Kopf zurück und lachte schallend.
»Was ist denn mit dir? Siehst du den Kerl?«
Erschrocken wandte sie sich zu Valentin um. Der wies erneut mit einem Kopfnicken in die nämliche Richtung. Wie von selbst drehte Katharina sich wieder dorthin um.
Die junge Frau reckte sich auf Zehenspitzen und strich dem Mann eine schwarze Strähne in die Ordnung zurück. Die umstehenden Männer lachten, doch im nächsten Moment trat Martina zu der Gruppe und zog den Mann zu sich. Erregte Worte flogen zwischen ihnen, dann verließen sie gemeinsam den Saal.
»Hast du ihn gesehen? Und willst du mir immer noch erzählen, deine Freundin Martina unterhalte hier kein Guerillanest?«
Katharina war so benommen, dass es ihr schwerfiel, den Sinn seiner Frage zu erfassen. Die Musik schien auf einmal so laut, sie hätte sich die Hände auf die Ohren pressen wollen. »Das ist nur ein Mann, den Martina einmal behandelt hat«, stotterte sie. »Sie ist eben Ärztin. Sie sucht sich nicht aus, wer als Patient zu ihr kommt.«
»Ärztin!« Valentin schnaubte verächtlich. »Was für ein Wort ist das überhaupt? Da, wo ich herkomme, sind Ärzte Männer, und bislang war ich der Ansicht, das Zentrum der Medizin liege in den Städten Europas, nicht im mexikanischen Busch!«
Köpfe drehten sich nach ihnen. Ein Kellner mit einem Tablett blieb stehen, um zu lauschen. »Bitte«, entfuhr es Katharina.
»Bitte was?«
»Lass uns tanzen!«, sagte sie schnell und drehte sich in ihrem schwingenden Kleid um ihre Achse. Sie sah ihn zögern – das Gesicht noch zornig verzogen, doch der Fuß schon wippend –, da trat Martina auf das Podium, das an der Kopfseite errichtet worden war, und brachte mit einer Handbewegung die Musik zum Schweigen. In einer Hand hielt sie den Käfig mit den beiden Tauben. »Liebe Freunde!«, rief sie glockenhell in den Saal. »Dass ich fortan kein wildes Mädchen mehr sein darf, sondern die brave Gattin spielen muss, mag ja ein zweifelhafter Grund zur Freude sein – aber hier habt ihr noch einen: General Lee hat sich bei Appomattox ergeben. Drüben ist der Krieg zu Ende – Lincolns Union hat gesiegt!« Damit öffnete sie den Käfig und ließ die Tauben über die Köpfe der Gäste hinweg in die Freiheit flattern. Eine Geste, wie sie eindeutiger nicht sein konnte: Jetzt, da die Union ihren eigenen Kampf gewonnen hatte, mochte sie Truppen entsenden, um Mexiko zu befreien.
Zu befreien wovon? Tut nicht Kaiser Maximilian alles, was ein Herrscher für ein Land nur tun kann, gründet er nicht Schulen,
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