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Im Land der gefiederten Schlange

Im Land der gefiederten Schlange

Titel: Im Land der gefiederten Schlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: carmen lobato
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Kleidsaum durch die feuchte Frühlingserde schleifte. Die drei standen dort, wo sie schon einmal gestanden hatten. Im Schatten des Marmorportals. Stefan und Josephine, die Felice festhielt. Halb verborgen hinter ihnen machte sie eine weitere Gestalt aus.
    »Kathi!«, rief Felice, wollte sich losreißen, wurde aber von ihrer Mutter zurückgehalten. Als sie sich wehrte, nahm Stefan sie beim Arm. »Beruhige dich doch. Kathi kommt ja zu uns.«
    Katharina, zitternd vor Zorn und vor Sehnsucht, blieb stehen. »Lass sie los!«, rief sie. »Zumindest du, Stefan. Schämt ihr euch eigentlich manchmal?« Gewiss meinte sie nicht nur Stefan und Jo, die ein Mädchen gegen seinen Willen festhielten, sondern ebenso die beiden Männer im Saal.
    »Das sagt die Richtige!« Josephine stieß Felice auf Stefan zu und trat vor. »Meinst du nicht, das solltest du dich fragen und nicht uns? Wir wollten trotz allem sehen, ob es dir gutgeht. Wir können dich nicht so einfach aus unserem Leben streichen, wie du es offenbar mit Menschen kannst.«
    Nein, ich kann es nicht. Ich wünschte, ich könnte es. »Was willst du damit sagen?«, fragte sie und hoffte, die Antwort bliebe aus.
    »Tante Traude ist gestorben«, sagte Josephine. »Wir haben seit Wochen versucht dich zu erreichen, aber unsere Briefe wirfst du offenbar ungelesen weg. Deine Mutter war hier. Du warst nicht zu sprechen für sie. Im Deutschen Haus hast du deine Stellung aufgegeben, und wenn Stefan herkommt, weiß niemand, wo du steckst. Helenes Schiff ist vor drei Tagen in See gestochen. Zurück in die Heimat. Die Mädchen hätten dir gern Lebewohl gesagt, aber selbst die Kinder hast du ja aus deinem Leben gestrichen.«
    Zu viel prasselte auf Katharina ein, um etwas davon zu erfassen. Tante Traude tot? Helene auf dem Weg in die Heimat? Auf einmal kam es ihr vor, als würde das gesamte Gebäude ihrer Kindheit vor ihr zusammenstürzen. Das Bild tauchte vor ihr auf, die vergilbte Daguerreotypie. Von den jungen Leuten auf dem Bild sind nur noch wir drei hier – Stefan, Jo und ich.
    »Weißt du, wie oft Traude nach dir verlangt hat, wie dringend sie dich sprechen wollte, bevor sie nicht mehr sprechen konnte?« Josephine schrie jetzt. Hatte sie in ihrem Leben je gehört, wie Josephine jemanden anschrie? »Und Stefan? Wir alle nahmen an, du hättest Stefan lieb genug, ihn zu heiraten, und jetzt kondolierst du ihm nicht einmal zum Tode seiner Mutter? Wofür hat er das verdient? Dafür, dass er um deinetwillen nicht seine Familie im Stich ließ? Wir haben nichts anderes als diese Familie, Kathi. Wir sind Fremde. In dem Land, in dem wir leben, durften wir nie ankommen, und in dem, das wir unseres nennen, kennt uns kein Mensch. Wir haben nur einander. Keine wundervollen, zärtlichen Freunde, die für uns durchs Feuer gehen, und keine schneidigen Gardeoffiziere, die uns vergessen machen, was wir einmal waren. Nein, Kathi, sieh nicht drein, als hättest du keine Ahnung, was ich rede. Wir wissen es längst, du gibst dir ja nicht viel Mühe, es zu verbergen. Nur deinen armen Eltern und den Männern, denen haben wir nichts davon gesagt.« Jo schrie nicht länger. Sie weinte. »Starr mich nur an«, presste sie unter Tränen heraus. »Du stiehlst mir alle Menschen, die mir etwas bedeuten, sogar mein Kind, sogar meinen Vater, und trotzdem kann ich nicht aufhören dich zu lieben. Mein Vater hat mich mein Leben lang betrogen – und doch war ich sogar noch stolz, dich nicht nur zur Base, sondern zur Schwester zu haben. Wie albern! Wozu solltest du mich schon brauchen, wenn du Martina von Schweinitz hast? Wozu solltest du Stefan brauchen, du hast ja deinen Gardeoffizier. Ob deine Eltern leben oder sterben, kümmert dich nicht – bestimmt wird Baron von Schweinitz dich adoptieren. Brauchst du mein Kind noch, Kathi? Hast du nicht vielleicht bald ein besseres zur Hand?«
    Katharina stand erstarrt da. Sie war sicher, sich nicht rühren und auch kein Wort sprechen zu können, so dringlich sie es gewollt hätte. Hinter Jo, die laut weiterweinte, und Stefan, der ihr nicht half, sondern Felice festhielt, trat die vierte Gestalt aus dem Dunkel. Eine kleine, rundliche Gestalt, die eine altmodische Haube trug und einen Holzkasten in den Händen hielt. Katharina hätte auf sie zugehen müssen, um sie zu erkennen. Stattdessen kam die Gestalt auf sie zu, und nach wenigen Schritten sah sie, dass es Tante Dörte war.
    Ein Erlebnis aus ihrer Jugend kehrte in scharfer Deutlichkeit zurück, eine Szene in Tante Dörtes

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