Im Land der gefiederten Schlange
Herz und bat um eine Audienz. Er hätte nicht so lange zögern und sich quälen sollen – war Maximilian nicht mehr als ein Befehlshaber für seine Vertrauten, war er nicht auch ein Freund? Nur von einem Reitknecht begleitet, in schlichter Charro-Tracht, kam der Kaiser auf den Sattelplatz, wo Valentin sein Pferd zum morgendlichen Ausritt zäumte. »Oberleutnant Gruber«, sagte er, »Sie wollten mich sprechen? Müssen wir wirklich das Protokoll wahren, oder täte es ein gemeinsamer Ritt?«
Anteburro, der Hengst des Kaisers, wurde gebracht, und Seite an Seite ritten Kaiser und Untertan vom Hof. Im Schritt bewegten sie ihre Tiere durch den lichten Zypressenwald, umflattert von Schmetterlingen und Kolibris. Valentins Herz wurde leichter. Der Reitknecht folgte ihnen außer Hörweite.
»Womit kann ich Ihnen denn behilflich sein, Gruber?«, begann der Kaiser das Gespräch. »Wenn es um den Verlust Ihrer Einheit geht, so bitte ich, sich keinen Vorwurf zu machen. Wir alle wissen, welch Juwel wir an Ihnen haben. Neben Oberst López von den Ulanen sind Sie mein fähigster Mann im Feld. Im Generalstab habe ich mir erlaubt, als geflügeltes Wort auszugeben: Wenn der Gruber die Nuss nicht knackt, dann muss sie aus Stein sein.«
Valentin spürte ein Kribbeln im Nacken, das sich warm seinen Rücken hinunter ausbreitete. Wie lange hatte ihm etwas nicht mehr so wohlgetan wie das Lob seines Kaisers? »Ich bedanke mich«, sagte er leise. Ein kleiner Satz nur, aber jedes Wort erfüllt von tiefster Aufrichtigkeit.
»Ja, man nimmt uns hart an die Kandare, nicht wahr? Dass wir diesem Land in aller Ergebenheit unsere Liebe erklärt haben, genügt ihm nicht – es fordert Beweise in Schweiß und Blut, wie keine Frau sie von einem Mann fordern würde. Oder hinkt der Vergleich? Sehe ich Sie zweifeln, Gruber? Nun, die Schöne, der Sie Ihr Herz geschenkt haben, ist ja auch eine halbe Aztekin – vielleicht ist es ihrem Wesen eingebrannt, dass es zum Liebesbeweis ein Blutopfer braucht.«
»Wie kommen Majestät denn darauf?«, entfuhr es Valentin. »Fräulein Lutenburg entstammt auf beiden Elternseiten einer hanseatischen Kaufmannsfamilie.«
»Ach tatsächlich?«, erwiderte der Kaiser aufmerkend. »Dann entschuldigen Sie bitte meine Unüberlegtheit. Das zeigt einmal mehr, dass man sich vom Äußeren eines Menschen nicht zu voreiligen Schlüssen verleiten lassen sollte. Ich habe es im Übrigen nicht despektierlich gemeint. Ihr Fräulein Lutenburg gehört zu jener kleinen Zahl von Damen, die ich an meinem Hof nicht missen wollte. Sie hat einen gänzlich eigenen Reiz, einen herben Zauber – ein wenig wie Mexiko, finden Sie nicht? Ein Geschöpf mit einem Geheimnis, das es selbst nicht kennt.«
Es verblüffte Valentin, wie treffend der Kaiser Katharina beschrieb, obwohl ihm nicht klar war, warum die Beschreibung traf. »Das war es, was ich von Majestät erbitten wollte«, sagte er.
»Was? Etwas bezüglich der entzückenden Katharina?«
Wie sollte er es vorbringen, ohne sich selbst in ein übles Licht zu stellen? Was sie taten, war Sünde, daran bestand kein Zweifel, und Valentin hatte sich schon hundertmal geschworen, einen Beichtvater aufzusuchen. Wenn aber nie in aller Deutlichkeit ausgesprochen wurde, was sie taten, wenn es in ihren süßen, gestohlenen Stunden verborgen blieb, erschien die Sünde lässlich. Etwas, das Männer seit Menschengedenken eben taten und das der Herrgott in seiner Gnade überging. Erst durch Worte nahm es seine wahre, hässliche Gestalt an. »Ich bitte Majestät um Vergebung«, sagte er rasch, da der Kaiser noch immer auf seine Antwort wartete.
»Fällt es Ihnen schwer, mir von der Leber weg vorzutragen, was Sie bedrückt?«, fragte Maximilian. »Das täte mir leid. Man wird sehr einsam, wenn man an einen solchen Platz gestellt ist. Können Sie sich vorstellen, dass selbst meine Familie mir den Rücken zukehrt? Wie wir es ja vielfach erörtert haben, ruhte meine Hoffnung, mich vom französischen Joch zu befreien und eine Armee für unser Mexiko aufzubauen, auf unseren Freiwilligen aus der Heimat. Ebendeshalb bat ich meinen kaiserlichen Bruder, für diese Truppen doch kräftiger werben zu lassen und sie recht bald auf See zu schicken – und wissen Sie, was ich als Antwort erhalte?«
Valentin wusste es nicht, aber er spürte des Kaisers Enttäuschung, die über einen politischen Rückschlag weit hinausging. »Ich wäre geehrt, wenn Majestät es mir sagen würde.«
»Dafür sei Ihnen gedankt, mein guter
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