Im Land der gefiederten Schlange
unverblümt. »Das wäre sie allerdings überall, wo sie nicht unter der Obhut von Verwandten steht.«
Valentins Mund wurde trocken. Der Vorwurf war nicht zu überhören, und das Schlimmste war, er konnte sich selbst nicht frei davon sprechen. Immerhin hatte in dem Palais der pinselnde Vetter gehaust, der zur Not als Katharinas Vormund hergehalten hätte. Jetzt hingegen lebte sie vor aller Augen als ausgehaltene Mätresse. Konnte das aber für eine Frau wie Katharina eine Rolle spielen, spielte es in Mexiko eine Rolle, wo es Frauen gab, die ohne Schnürleiber herumliefen und wie Huren in Schwärmen hinter den Truppen des Heeres herzogen?
»Vergessen Sie’s, Gruber«, sagte der Kaiser und trieb Anteburro wieder in Schritt aus dem Wald hinaus, den Hang hinunter in die Ebene. »Zum Anwesen des Palastes gehören einige Gartenhäuser am Ufer des Chapultepec-Sees. Ein solches könnte ich Fräulein Lutenburg zur Verfügung stellen, dazu ein Hausmädchen und einen Einspänner. Kann sie selbst fahren?«
»Ich bringe es ihr bei«, rief Valentin, der sein Glück nicht fassen konnte.
»Bringen Sie ihr auch bei, nie ohne Begleitung in die Stadt zu fahren. Fräulein Lutenburg wäre dem Zorn von Banditen doppelt ausgesetzt – sie ist von Geburt eine Fremde, und man sieht sie in Begleitung eines fremden Offiziers. Wenn sie sich im Schloss meldet, wird selbstverständlich für ein Geleit gesorgt werden. Zudem sichere ich Ihnen zu, dass Fräulein Lutenburg unter unserem Dach stets mit Respekt behandelt wird.«
»Majestät, ich weiß nicht, wie ich meinen Dank in Worte fassen soll.«
Mit dem Zügel winkte der Kaiser ab. »Bemühen Sie sich nicht. Es ist ja gern geschehen. Dass Sie mir den Liebesdienst vergelten, wann immer es nottut, weiß ich, und das ist mir teuer. Was meinen Sie? Bleibt uns noch Zeit zu einem kleinen Galopp?«
Mit der Gerte wies er die Ebene entlang, auf den Horizont zu, die in der Ferne kaum erkennbare eisblaue Bergkette. Auf einmal erschien die Weite wieder herrlich und verlockend, und Valentins Brust war frei, um Atem zu holen. Das Leben in dem Gartenhaus, die Nächte mit Katharina, der Schutz des Palastes – das alles lag so verheißungsvoll vor ihm wie ganz Mexiko nach seiner Ankunft. Der dunkle Pferdeknecht würde ihn nicht länger heimsuchen, und das Band zwischen Katharina und ihm würde noch einmal neu erstehen, im reinen Glanz geschliffenen Stahls, wie in den Anfangstagen. Einem Glanz, den nur Liebe und Tod besaßen, sonst nichts. Seite an Seite trieben Kaiser und Untertan ihre Pferde in den Galopp.
48
Zweimal war Felice ihnen fortgelaufen. In die Stadt hinein, angeblich ziellos, doch jedes Mal in die Arme von Ben Alvarez. Der hatte sie zurückgebracht, hatte einen Boten vorausgeschickt und sie Josephine vor der Calle San Jorge übergeben, wie er einst Kathi am Marigoldstrauch ihrer Familie zurückgegeben hatte. Zuvor hatte Josephine ihm versprechen müssen, dass das Mädchen nicht bestraft würde.
Nach Felices zweiter Flucht hatte Josephine dennoch Hermann gestattet, ihrer Tochter eine Strafe zu erteilen. »Sie ist sechzehn«, hatte er gesagt »Das ist das gefährlichste Alter. Ein Dutzend Stockhiebe tun ihr lange nicht so weh wie ein verpfuschtes Leben. Wer sollte das besser wissen als du?«
Ja, hatte Josephine gedacht, wer sollte das besser wissen als ich, deren Leben schon verpfuscht war, ehe sie sechzehn wurde? Wenn Hiebe mit dem Stock Felice davor bewahrten, so sollte sie sie bekommen. Nicht von ihrer Mutter, sondern von Hermann, dem Familienoberhaupt, der ihr damit den männlichen Schutz zusprach, der dem vaterlosen Mädchen fehlte. »Bleib du vor der Tür«, riet er ihr, »das ist nichts für dich.« Und Josephine tat, wie ihr geheißen. Durch den Türspalt hörte sie, wie der Stock aufklatschte und wie der Hermann sorgsam die Zahl dazu nannte, als würde er mit jedem Hieb etwas abhaken, das Felices Leben verpfuschte – die Schande ihrer Geburt, ihre Vaterlosigkeit, der von der Mutter ererbte Mangel an Schönheit, die kläglichen Heiratsaussichten, die Liebe zu Kathi.
Josephine tat jeder Hieb weh, weil er ihr auf einmal nutzlos war. Das Einzige, das Felice ausgeprügelt wurde, war das kleine Gut, das sie besaß, ihre Würde. Und wofür bekam sie die Prügel? Was hatte sie mehr getan, als nach Menschen zu suchen, die ein Lächeln, ein wenig Glanz und Wärme in ihr trostloses Dasein bringen konnten? Vermochte der Stock etwas gegen Sehnsucht? Gegen Einsamkeit? Wenn er das täte,
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