Im Land der Kaffeeblüten (German Edition)
diesem Tempel auf sich?«
»Das ist eine alte Geschichte«, antwortete ihr Vater. »Ein Märchen, so wie die Geschichte des Prinzen, der am Atitlán-See seine Geliebte betrauert.«
»Nein!« Ihre Mutter stampfte nun mit dem Fuß auf den Boden. »Es gibt einen Maya- Codex , der darauf hinweist,dass sich von Tikal aus Krieger aufmachten, um im Hochland eine Dynastie zu gründen. Da ist es nur konsequent, dass …«
»Märchen. Wunschdenken«, unterbrach Johann Hohermuth sie barsch. »Die Machthaber von Tikal haben die Stadt Dos Pilas als Außenposten gegründet und …«
»Die Herrscher von Tikal waren sehr expansiv, das weißt du. Niemals hätten die alten Könige sich mit einer Stadt begnügt.« Henni Hohermuth wirkte gleichzeitig entschlossen und verzweifelt. Zum ersten Mal erschien sie Elise als ein verletzlicher Mensch mit zerbrechlichen Träumen und Sehnsüchten. »Nur weil noch niemand etwas gefunden hat, heißt das nicht, dass die Stadt nicht existiert.«
»Es heißt aber auch nicht, dass wir sie finden werden«, antwortete Johann Hohermuth und wirkte angestrengt. »Ich gebe dir zwei Wochen. Wenn wir bis dahin nichts Bedeutendes entdeckt haben, reisen wir nach Tikal weiter.«
»Zwei Wochen?« Henni Hohermuth überlegte kurz. »Na, besser als nichts. Vorher nehmen Georg und ich noch einen Papierabdruck von diesem Maya-Relief.«
Sie nickte dem Jungen zu und gemeinsam gingen sie zu den Pferden und ließen Elise und ihren Vater zurück. Nach einer Weile trugen sie Wassereimer und Papier heran, das sie neben dem Monument ablegten.
»Was machen Mutter und Georg da?«, fragte Elise ihren Vater, der nach dem Streit mit seiner Frau froh zu sein schien, wieder eine Pflanze begutachten zu können. Erst beim dritten Mal antwortete er seiner Tochter.
»Sie nehmen einen Papierabdruck.« Damit wollte er sich erneut abwenden, doch Elise hielt ihn auf.
»Aber warum machen sie das?« Elise wünschte sich, dassihr Vater sich mehr für ihre Fragen und weniger für die Flora und Fauna des Landes interessierte.
»Nun, ein Papierabdruck gibt eine wunderbare Reproduktion von Inschriften ab. Wir haben das schon in Ägypten gemacht. Daran solltest du dich doch noch erinnern.« Einen Augenblick lang schaute ihr Vater sie beinahe vorwurfsvoll an. »Geh einfach hin und hilf den beiden.«
Bevor Elise protestieren konnte, drehte er sich um und verschwand im Wald. Sie zuckte die Schultern. Warum nicht? Bevor sie hier weiter herumsaß, konnte sie auch etwas Neues lernen.
»Kann ich etwas tun?«
»Gern.« Der erstaunte und gleichzeitig dankbare Ausdruck ihrer Mutter machte Elise ein schlechtes Gewissen. Bisher hatte sie sich nicht gerade bemüht, ihre Eltern zu unterstützen, sondern war eher Ballast. »Du kannst mir hier zur Hand gehen.«
Elise schämte sich ein bisschen für ihr Verhalten und hoffte, dass ihre Mutter es nicht bemerkte.
»Als Erstes musst du die Felsplatte gründlich säubern.« Henni Hohermuth griff nach dem Eimer Wasser, in dem ein Schwamm lag, und fuhr mit kräftigen Bewegungen über den mit Dreck und Lehm verschmierten Stein. »Sei bitte so gründlich wie möglich. Die Schriftfläche muss möglichst sauber sein.«
Elise nickte und schrubbte an dem Stein herum. Schon nach kurzer Zeit begann sie zu schwitzen. Der Dreck von Jahrhunderten hatte sich dort eingefressen und widerstand ihren Bemühungen.
»Hier. Damit kannst du harten Schmutz entfernen.« Georg reichte ihr ein Messer und berührte dabei leicht ihreHand. Auch ihm stand der Schweiß auf der Stirn. »Lass ihn erst ein bisschen einweichen.«
»Da… danke«, flüsterte Elise. Warum war sie nicht schon früher auf die Idee gekommen, Seite an Seite mit ihm zu arbeiten?
Georg schien völlig fasziniert von den Steinfiguren, die sie nach und nach aus der Dreckschicht herausschälten. »Sieh nur, sie halten Messer in Händen. Das sind Maya-Priester, die ihren Göttern Menschenopfer darbringen wollten.«
Elise war zum Fürchten zumute.
Endlich wurde der Stein von Henni Hohermuth als sauber genug befunden. Gemeinsam mit Georg zog sie eine Papierbahn durchs Wasser und legte sie auf das Maya-Relief.
»Georg, bitte vorsichtig.« Henni Hohermuth holte ein trockenes Tuch aus ihrer Tasche und tupfte das Papier auf der Felsplatte fest. Kritisch musterte sie den Abdruck. »Georg, bitte streich da unten noch einmal drüber. Da ist eine Luftblase.«
»So, Elise. Jetzt kommt der wichtigste Teil.« Ihre Mutter suchte in den Satteltaschen und holte drei einfache
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