Im Land der letzten Dinge (German Edition)
hatte, hätte mich für mindestens zwei bis drei Wochen am Leben erhalten, aber nachdem ich einmal angefangen hatte, stand mir nicht der Sinn danach, mich damit zu begnügen. Voller Pläne kehrte ich in die Wohnung zurück und rechnete aus, wie viel zusätzliches Geld ich durch den Verkauf weiterer Haushaltsgegenstände einnehmen könnte. Die ganze Nacht hindurch stapelte ich mitten im Zimmer Sachen auf. Ich durchwühlte den Wandschrank nach jedwedem brauchbaren Stück, kippte Schachteln aus, stöberte in Schubladen, und gegen fünf Uhr morgens zog ich aus Isabels Versteck unter dem Fußboden einen ganz unverhofften Schatz: ein silbernes Messer, eine silberne Gabel, die Bibel mit Goldschnitt und ein Säckchen mit achtundvierzig Glots in kleinen Münzen. Den ganzen nächsten Tag verbrachte ich damit, die verkäuflichen Stücke in einen Koffer zu stopfen und zu verschiedenen Auferstehungsagenten im Stadtgebiet zu schleppen, das heißt, eine Ladung zu verkaufen, dann in die Wohnung zurückzugehen und die nächste zusammenzustellen. Alles in allem verdiente ich über dreihundert Glots (davon fast ein Drittel für das Messer und die Gabel), und so war ich mit einem Schlag für fünf bis sechs Monate aus dem Schneider. Das war mehr, als ich mir unter den gegebenen Umständen hatte erhoffen können. Ich fühlte mich reich und war geradezu übermütig.
Dieser Überschwang bekam jedoch schnell einen Dämpfer. Erschöpft von meiner Verkaufstour legte ich mich an jenem Abend ins Bett, und schon am nächsten Morgen, kaum eine Stunde nach Sonnenaufgang, wurde ich durch ein lautes Poltern an meiner Tür aus dem Schlaf gerissen. Es ist seltsam, wie schnell man dergleichen weiß, aber als erste Reaktion auf dieses Klopfen durchfuhr mich die Hoffnung, dass sie mich nicht töten würden. Ich hatte nicht einmal die Chance aufzustehen. Die Einbrecher schlugen die Tür ein und drangen mit den üblichen Knüppeln und Keulen in den Händen über die Schwelle. Sie waren zu dritt, und in den beiden größeren erkannte ich die Söhne der Gundersons aus dem Parterre. Neuigkeiten verbreiten sich schnell, dachte ich. Isabel war kaum zwei Tage tot, und schon hatten die Nachbarn zugeschlagen.
«Fahr deine Stelzen aus, Mädchen», sagte einer von ihnen. «Mach dich auf die Socken. Aber ganz brav und ruhig, dann passiert dir nichts.»
Es war so frustrierend, so unerträglich. «Gebt mir ein paar Minuten, damit ich meine Taschen packen kann», sagte ich, während ich aus meinen Decken stieg. Ich zwang mich, Ruhe zu bewahren, meinen Zorn zu unterdrücken, denn beim geringsten Anzeichen von Gegenwehr wären sie todsicher über mich hergefallen.
«Okay», sagte ein anderer. «Wir geben dir drei Minuten. Aber nur eine Tasche. Pack dein Zeug da rein und zisch ab.»
Es war ein Wunder, aber im Lauf der Nacht war die Temperatur drastisch gefallen, so dass ich mit sämtlichen Kleidern am Leib ins Bett gegangen war. Das ersparte mir die Demütigung, mich vor ihnen anziehen zu müssen, und außerdem – das rettete mir am Ende das Leben – hatte ich die dreihundert Glots in meinen Hosentaschen verstaut. Nicht dass ich an Hellseherei glaube, aber fast will mir scheinen, als hätte ich vorausgeahnt, was geschehen würde. Während ich meinen Tornister packte, behielten die Schläger mich scharf im Auge, aber keiner von ihnen war intelligent genug, darauf zu kommen, wo Geld versteckt war. Dann hastete ich so schnell ich konnte aus dem Zimmer und sprang die Treppe hinunter. Unten verschnaufte ich kurz, dann stieß ich die Tür auf. Die Luft traf mich wie ein Hammer. Ein ungeheures Getöse von eiskaltem Wind, der Winter stürmte mir in die Ohren, und überall flogen mit einer wahnsinnigen Wucht Gegenstände herum, krachten wahllos gegen Häuserfronten, schlitterten über die Straßen oder zerbarsten wie Eisbrocken. Ich war jetzt seit über einem Jahr in der Stadt, aber keinen Schritt vorangekommen. Ich hatte zwar etwas Geld in der Tasche, doch keine Arbeit, kein Dach überm Kopf. Nach all dem Auf und Ab war ich wieder genau da, wo ich angefangen hatte.
Ganz gleich, wie man dazu stehen mag: Tatsachen sind nicht umkehrbar. Dass man in etwas hineingeraten kann, bedeutet noch lange nicht, dass man auch wieder herauskommt. Eingänge werden nicht zu Ausgängen, und nichts garantiert einem, dass die Tür, durch die man gerade getreten ist, noch da sein wird, wenn man sich umdreht, um noch einmal danach zu sehen. Jedenfalls in dieser Stadt ist es so. Wann immer man
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