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Im Land der Mond-Orchidee

Im Land der Mond-Orchidee

Titel: Im Land der Mond-Orchidee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Witt de
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Polizeibeamte
erschienen. Ihr Anführer unterzog Neele noch im Garten einem ausführlichen
Verhör. Als er hörte, dass ihr Vater der Bruder der beiden alten Damen gewesen
war, blickte er sie überrascht an, zweifellos durch ihr Aussehen verwirrt. Dann
trat eine merkliche Veränderung in seinem ganzen Verhalten ein. Nicht, dass er
direkt unhöflich geworden wäre, aber sie spürte, dass sie in seiner Achtung
gesunken war. Sie war nicht mehr seinesgleichen, war keine Europäerin mehr, der
die Einheimischen Unrecht getan hatten, sondern ein Mischling, und damit wurde
der Mord an Bethari zu einer Angelegenheit der Eingeborenen. Mit einem
flüchtigen Gruß verabschiedete er sich von ihr – Ameya, der die ganze Zeit
neben ihr gesessen hatte, hatte er nachdrücklich ignoriert – und trat ins
Innere des Hauses, um sich den Leichnam zeigen zu lassen und die Übrigen zu
verhören.
    Neele spürte, wie unter ihrer Trauer eine dumpfe Wut aufwallte. »Als
er hörte, dass ich die Tochter eines Javaners bin, war er gleich nur noch halb
so eifrig«, sagte sie. »Ich bin gespannt, ob es ihm mein braunes Kind überhaupt
wert sein wird, dass er eine Untersuchung durchführt.«
    Ameya beschwichtigte sie. Der Mann würde seine Pflicht tun, wenn
auch nicht mit demselben Eifer, den er für eine weiße Mutter und ein weißes
Kind aufgebracht hätte. Die Holländer ließen nicht zu, dass Mord und Totschlag
ungestraft blieben, das waren sie sich selbst schuldig.
    Â»Werden sie Nuri verhaften?«
    Die Frage beantwortete sich von selbst, als die vier Polizisten aus
dem Haus auftauchten. Sie führten Nuri mit sich, die abwechselnd weinte und
fluchte und laut schreiend ihre Unschuld beteuerte. Jetzt machte sie ganz den
Eindruck eines zu Unrecht beschuldigten Menschen, aber Neele brauchte nur an
den Blick zu denken, mit dem sie ihr totes Kind betrachtet hatte, diesen Blick
voll eisiger Selbstzufriedenheit. Zweifellos war Nuri die Täterin. Sie allein
hatte etwas durch den Tod des Säuglings zu gewinnen gehabt – sehr viel zu
gewinnen gehabt, denn bis dahin war sie praktisch die Tochter des Hauses gewesen.
Sie hatte absehen können, wie lange es dauern würde, bis die alten Damen sich
nur noch für das Baby interessierten und sie selbst in Vergessenheit geriet.
    Als die Polizisten mit ihrer Gefangenen vorbeigingen, erhob sich
Ameya von der Bank, auf der er gesessen hatte. Mit einer geschmeidigen Geste
zog er den Kris, den er wie gewöhnlich in der Schärpe am Rücken trug, aus der
Scheide und streckte die Hand mit der Waffe gegen Nuri aus. Er machte keine
Anstalten, auf sie zuzueilen, sondern stand nur ruhig da, einige Meter von ihr
entfernt, und hielt die im Sonnenlicht gleißende Spitze auf sie gerichtet.
    Die junge Frau stieß einen grässlichen Schrei aus. Mit den Händen
fuchtelnd, versuchte sie sich vor der imaginären Bedrohung zu schützen. Ihre
Augen waren starr auf die Waffe gerichtet, die blank und waagrecht die Sonne
widerspiegelte und tatsächlich wie eine Flamme leuchtete. Die Polizisten
mussten sie stützen, denn ihre Knie knickten ein.
    Ameya zog die Hand zurück, steckte den Kris in die Scheide und
beides wieder an seinen gewohnten Platz in der Schärpe. »Nuri wird sterben«,
sagte er mit leiser, emotionsloser Stimme. »Wenn man die Spitze eines Kris auf
einen Feind richtet, so stirbt derjenige. Du glaubst es vielleicht nicht, aber
du wirst es sehen.«
    Neele fühlte sich plötzlich todmüde. Sie ergriff Ameyas Hand. »Ich
danke dir von ganzem Herzen für deinen Beistand«, sagte sie leise. »Meinst du,
wir müssen bis zur Gerichtsverhandlung bleiben? Ich möchte jetzt nur noch weg
von hier. Mein Kind ist tot, Paula verheiratet, Lennert zieht nach Australien,
mich hält hier nichts mehr.«
    Er nickte. »Ich weiß, wie du dich fühlst. Ich glaube nicht, dass wir
bleiben müssen; es wird genügen, was der Arzt und deine Tanten aussagen.« Er stand auf und streckte sich mit einer müden,
schwerfälligen Bewegung, die gar nicht zu seiner Jugend passte. Es war nicht zu
übersehen, dass ihr Leid auch ihn niederdrückte. »Ja«, sagte er, »lass uns
gehen, sobald wir können.«

4
    N ach Ablauf der
Woche trafen die beiden Ehekandidaten einander wieder im Büro des Konsuls,
diesmal in Anwesenheit von Dr. Bessemer, der ihr einziger Hochzeitsgast sein
würde. Ihren

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