Im Land der Mond-Orchidee
untrügliches Zeichen, wie heftig die Zwergvulkane tätig waren!
Vorsichtig fragte sie: »Und wie ist das in Batavia? Gibt es dort
auch Vulkane?«
»Oh nein, ganz sicher nicht.« Dr. Bessemer ergriff ihren Arm und
drückte ihn ermutigend. »Da brauchen Sie gar keine Angst zu haben. Ich sagte
Ihnen ja, Batavia ist eine schöne, sichere Stadt. Es hat dort auch schon lange
keine Flutwellen mehr gegeben.«
Neele atmete auf, blieb aber misstrauisch. Sie traute ihren
Begleitern nicht mehr. Immer, wenn sie ihr versicherten, dass es nichts zu
fürchten gäbe, kam sie hinterher darauf, dass es sehr wohl eine Menge gute
Gründe gab! Aber was sollte sie machen? Sie konnte nur abwarten und hoffen,
dass die Meisje Mariaan die Meerenge bald hinter sich
gebracht hatte.
Bald bekam sie einen ersten Eindruck von der Küste Javas. Das Schiff
glitt teils an langen weiÃen Stränden, teils an bis zum Wasser hinabreichenden
grünen Terrassen entlang. Dr. Bessemer erklärte ihr, dass auf diesen unter
Wasser stehenden Terrassen Reis angebaut wurde und die ganze Insel bedeckt war
von Bananenhainen, Zuckerrohrfeldern, Teeplantagen und Kokoshainen. Dazwischen
zogen sich steile, leuchtend grüne Wälder die Hänge herunter, zwischen deren
Bäumen Wasserfälle sprangen. Neele musste zugeben, dass das alles sehr hübsch
aussah, aber ihre Angst und Unruhe wollten nicht weichen.
Zweiter Teil
Im Land der Mondorchidee
Ankunft in Java
1
N eele konnte kaum
glauben, dass sie es tatsächlich geschafft hatten. Die lange Reise lag hinter
ihnen! Sie und Paula standen an der Reling, ihre gepackten Koffer neben sich,
und starrten aufgeregt in den Dunst, aus dem sich langsam die Silhouetten der
kleinen Inseln vor der Nordküste Javas erhoben. Dahinter, so erklärte ihnen Dr. Bessemer, lag eine breit geschwungene Bucht, groà genug, um an die
eintausendzweihundert Schiffe zu fassen.
Das sonore Brüllen der Schiffssirene begleitete das Einlaufen des
Liners. Sofort umschwärmten kleine Boote und FlöÃe mit Händlern und Bettlern
das groÃe Schiff wie eine Schar Piranhas ihr Opfer. Die meisten davon waren
bunte Sampans, kleine Boote mit keilförmigem Rumpf, flachem Boden und von
runden Dächern beschatteten Schutzräumen auf dem Deck. Offenbar spielte ein
groÃer Teil des Lebens der Küstenbewohner sich in diesen Wohnbooten auf dem
Wasser ab. Die Leute überschrien einander auf Englisch, Holländisch, Deutsch,
Chinesisch und in den einheimischen Sprachen Baha Jawa, Baha Sunda und Malayam.
Ãberall priesen sie ihre Waren an, gebratene Leckerbissen, Früchte, Korallen
und Schnitzarbeiten.
Als das Schiff eine Weile lang keine Anstalten machte
weiterzufahren, fragte Paula, warum sie so lange ausharrten.
»Die Bucht ist zwar breit und geräumig, aber nicht tief genug für
ein groÃes Schiff«, erklärte ihnen Dr. Bessemer. »Der Ciliwungfluss schiebt
hier ständig gewaltige Massen Schlick und Sand ins Wasser, sodass die Tiefe oft
nur sechzehn Faden beträgt. Er ist nur mit Booten befahrbar, und auch das nur,
indem er ständig ausgebaggert wird. Durch die Morastbänke, die sich dabei bilden,
wird aber seine Mündung ständig weiter in die See hinausgeschoben, sodass sie
jetzt schon vier Kilometer unterhalb der Stadt liegt. Die Bucht versandet
zusehends, deswegen wurde auch mit dem Bau eines neues Hafens östlich von hier
bei Tanjung Priok begonnen, aber es wird noch einige Jahre dauern, bis er
fertiggestellt ist.«
Dr. Bessemer verabschiedete sich von seinen Reisegefährten und gab
ihnen seine Visitenkarte mit; sie seien herzlich eingeladen, bei ihm
vorzusprechen, sobald sie sich ein wenig eingerichtet hatten.
Der Liner hatte Batavia in den frühen Morgenstunden erreicht, aber
es wurde Nachmittag, bis die Reisenden der dritten Klasse endlich die Erlaubnis
erhielten, von Bord zu gehen. Neele zappelte förmlich vor Ungeduld, als sie so
lange warten mussten. Schritt für Schritt vorwärtsrückend, stand sie mit ihrem
Koffer in der langen Schlange der Passagiere, die sich die Landebrücke hinunterzog
und das Deck des Tenders betrat, der sie an Land bringen sollte.
Wenig später erreichten sie die Kaianlagen. Eine erstickende Hitze
herrschte dort, obwohl die Sonne den Zenit bereits weit überschritten hatte,
und ein maischiger Geruch wie nach faulenden Früchten. Dr. Bessemer hatte recht
gehabt: Die Altstadt
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