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Im Land der Mond-Orchidee

Im Land der Mond-Orchidee

Titel: Im Land der Mond-Orchidee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Witt de
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zottigen Bäumen dahinführte. Zwischen den Bäumen öffnete
sich der Blick auf europäische Villen, die inmitten breiter, gepflegter
Rasenflächen lagen. Sie waren niedrig, ein-, höchstens zweistöckig, dabei sehr
geräumig, um eine gute Durchlüftung zu sichern, und hatten durchwegs flache
Dächer und schöne Veranden. Laternen brannten unter den Eingangstoren, und auch
die Fenster waren da und dort schon erleuchtet.
    Paula war die Fahrt offenbar auch nicht geheuer gewesen, denn sie
seufzte tief und erleichtert auf, als sie sagte: »Nun, das sieht ganz so aus,
als wären wir hier an der richtigen Stelle. Jedenfalls sind wir nicht im Urwald
gelandet.«
    Plötzlich zerrte der Kutscher an den Zügeln, wandte sich um und
deutete mit dem Peitschenstiel auf eines dieser Häuser, wobei er ein paar Worte
in einer unverständlichen Sprache sagte. Die drei Reisenden sahen sich einer
dichten Hecke gegenüber, die zum größten Teil den Blick auf das
dahinterliegende Haus verbarg, nur mehrfache Giebel mit runden Fenstern waren
sichtbar. Zwischen den Baumkronen sahen sie ein Glockentürmchen hervorlugen.
Die Messingglocke darin schwang im Wind, gab aber kein Geräusch von sich;
vermutlich war der Klöppel entfernt oder umwickelt worden, um nicht bei jedem
Windhauch die gesamte Nachbarschaft aufzustören.
    Obwohl es jetzt bereits merklich dämmerte, war nirgends ein Licht zu
sehen. Lennert stieg vom Karren und ging zum Tor, und die beiden Frauen folgten
ihm.
    Sie standen vor einem zweistöckigen Gebäude, das auf allen Seiten
reich von rot blühenden Bougainvilleen und grünen Ranken überwuchert war, so
dicht, dass gerade noch der zum Eingang führende Plattenweg benutzbar war. Die
Tür stand halb offen. Die drei blieben betroffen stehen. Die verwilderte
Vegetation rundum, der ungeschnittene Rasen im Vorgarten, die teilweise mit
Sturmläden verschlossenen Fenster, das alles machte
einen Eindruck langer Verlassenheit. Kein Zweifel, das hier war nicht das Heim
einer halben Hundertschaft getaufter Waisenkinder, die sich einer christlichen
Erziehung erfreuten.
    Lennert versuchte ein Gespräch mit dem Kutscher anzufangen, aber der
verstand weder Deutsch noch Holländisch noch Englisch. Nachdem er mehrmals energisch
auf den Brief gedeutet und damit bekräftigt hatte, dass sie sich vor genau
dieser Adresse befanden, forderte er seinen Lohn, kehrte mit seinem Gespann um
und ruckelte los.
    Drei ratlose junge Leute blieben zurück.
    Â»Ich verstehe das nicht«, sagte Paula. »Es ist doch noch gar nicht
so lange her, seit der Pastor uns geschrieben hat. Was kann da in der
Zwischenzeit passiert sein?«
    Â»Vielleicht hat es gebrannt, oder es gab sonst einen Bauschaden,
sodass sie kurzfristig umziehen mussten«, mutmaßte Lennert. »Wartet hier auf
mich, ich sehe einmal kurz drinnen nach. Vielleicht ist ja doch irgendjemand zu
Hause.«
    Neele ließ sich auf die steinerne Bank an der Innenseite der Hecke
sinken. Sie fühlte sich so müde, dass sie kaum die Augen offen halten konnte.
Tag für Tag hatte sie von diesem Augenblick geträumt, an dem sie freudigen
Empfang in dem Institut finden würden, und jetzt saßen sie hier vor dieser
finsteren Mäuseburg, deren unbeleuchtete Fenster sie angähnten. Wo war der
Pastor? Wo waren seine Mitarbeiter? Und wo waren all die Kinder, deren Fotos er
beigelegt hatte? Vielleicht hatte der einheimische Kutscher sich ja doch in der
Adresse geirrt und sie zu irgendeinem ganz anderen Haus gefahren? Allerdings
hatte die Fassade mit den vier Giebeln und dem Glockentürmchen starke
Ähnlichkeit mit dem Haus, das im Hintergrund der Fotos zu sehen gewesen war.
    Der Wind wurde stärker, und die Palmen am Straßenrand beugten sich
mit raschelnden Blattfächern. Neele kauerte sich zusammen und zog die wollene
Jacke eng um sich. Sie fröstelte vor Erschöpfung und Verzweiflung. Was sollten
sie jetzt tun? Für die Nacht waren sie jedenfalls hier gestrandet, denn es sah
nicht so aus, als seien auf der Straße viele Fahrzeuge unterwegs, die sie in
die Stadt zurückbringen konnten.
    Lennert erschien wieder in der Tür. Die beiden Frauen sprangen auf,
als er näher kam.
    Â»Und?«, rief Paula. »Hast du jemand
angetroffen?«
    Er schüttelte den Kopf. »Angetroffen nicht, es wohnt aber jemand
darin. Immerhin wird eines der Zimmer benutzt. Und hinter dem Haus ist ein
Pferd

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