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Im Land der Mond-Orchidee

Im Land der Mond-Orchidee

Titel: Im Land der Mond-Orchidee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Witt de
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von Batavia war ein zweites, altertümliches Amsterdam mit
schmalen, spitzgiebeligen Häusern, die mit Kupfer gedeckt waren, kreuz und quer
verlaufenden Grachten und hübschen Ziehbrücken aus Schmiedeeisen. Trotz der
lebhaften Geschäftigkeit, die überall herrschte, machte die benenstad einen verfallenen Eindruck.
    Unmengen von Menschen umschwärmten die Neuankömmlinge. Da waren
Matrosen in weißen Hemden und blauen Jacken, die, von den Befehlen der
Offiziere herumgescheucht, hin und her rannten. Europäische Beamte in weißen
Anzügen und Tropenhelmen eilten geschäftig umher. Sie mussten sich ihren Weg
über den Kai erkämpfen, auf dem sich Kisten, Fässer und Säcke mit der Ladung
stapelten, die die Schiffe auf ihrer Weiterfahrt mitnehmen sollten: Tabak,
Kaffee, Tee, Pfeffer, Reis, Zucker, Kopra, Edelhölzer und Kautschuk. Rundum wurden
sie von allen Seiten angerempelt. Jedenfalls an Trubel konnte es Batavia mit
einer europäischen Hafenstadt aufnehmen, nur dass hier alles viel bunter war
und die Leute viel fröhlicher.
    Die Hitze machte sich jetzt, da der Fahrtwind aufhörte, erst richtig
bemerkbar, und nach der Frische des offenen Meeres schlug den Reisenden dort
eine atemberaubende Wolke aus heißer Luft und Gestank entgegen. Neele verstand
jetzt, warum die Gründer der Stadt es nicht lange in dieser sumpfigen Ebene
ausgehalten hatten, dicht am Rande des feuchtheißen Dschungels. Die Grachten
dienten offenbar zur Entsorgung aller nur denkbaren Abfälle, denn sie waren mit
einer träge dahinfließenden, übel riechenden grünlichen Brühe gefüllt. Ratten
huschten an den Rändern der Kanäle hin und her oder hockten unverschämt auf den
großen Fruchtschalen, die darin trieben. Neele brach am ganzen Körper der
Schweiß aus, er rann ihr über die Stirn. Wie sollte sie diese Hitze auf Dauer
aushalten – in ihrem Kleid mit dem langen Unterrock, dem Mieder und dem eng
geknöpften Jäckchen? Ganz zu schweigen von den kniehohen Knöpfelschuhen? Da
hatten es die Einheimischen gut, die in losen, leichten Kleidern herumliefen,
die Frauen in flatternden Sarongs, die Männer in kurzen Hosen und mit einem
Turban auf dem Kopf.
    Lennert folgte ihrem Blick und bemerkte sehnsüchtig: »Das wäre mir
jetzt auch das Liebste.« Sein Hemd mit dem hohen
Kragen und der lange schwarzwollene Gehrock waren ja auch nicht gerade die
richtigen Bekleidungsstücke für diese schwelende Hitze.
    Schließlich war es so weit, dass auch die Zwischendeckpassagiere an
Land gehen durften. Neele ergriff ihren Koffer und schritt steifbeinig das
Fallreep hinunter. Nach der langen Zeit auf See fiel es ihr zunächst schwer,
wieder auf festem Boden zu gehen. Ihre Knie wackelten, und sie musste sich
festhalten.
    Die Reisenden wurden in einen Wartesaal geführt, wo man ihre
Personalien aufnahm und sie ausfragte, was sie nach Java führte. Lennert legte
den letzten Brief vor, den sie von Pastor Ormus bekommen hatten. Der Beamte
überflog den Brief, studierte dann noch einmal die Adresse und fragte: »Nie
davon gehört. Wo ist das?«
    Â»An Bord sagte uns ein Mitreisender, es sei eine kleine Ortschaft
unmittelbar außerhalb der Stadtgrenze von Batavia.«
    Â»Mhm. Nun, wird wohl stimmen. Der Nächste.«
    Neele spürte, wie es ihr das Herz zusammenpresste. Das war jetzt
schon das zweite Mal, dass jemand mit der Adresse nichts anzufangen wusste.
Aber es würde sich alles aufklären; es würde jetzt wirklich nicht mehr lange
dauern, bis sie persönlich vor Pastor Ormus standen und mit dem alten
Geistlichen sprechen konnten. In der Nacht würden sie schon in den Betten in
seinem Institut schlafen.
    Die beiden Frauen setzten sich auf eine Holzbank im Schatten der
Tamarinden und bewachten das Gepäck, während Lennert in der Ankunftshalle das
wenige ihnen noch verbliebene Geld in Rupien wechselte. Sie suchten mit den
Augen das unruhige Treiben nach der Kutsche ab, die ihnen Pastor Ormus
geschickt hatte. Er musste doch wissen, dass die Meisje
Mariaan an diesem Tag einlaufen sollte, und da würde er sie gewiss
abholen lassen. Sooft ein Fahrzeug langsamer wurde oder sich dem Straßenrand
näherte, fuhr es Neele wie ein Stich durchs Herz, sie streckte sich jedes Mal
und wollte schon winken, nur um zu erkennen, dass sie nicht gemeint waren. Und
dabei war es dringend nötig, dass sie bald abgeholt wurden, denn ein

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