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Im Land der Mond-Orchidee

Im Land der Mond-Orchidee

Titel: Im Land der Mond-Orchidee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Witt de
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Halbdunkel aus und trat dann im Nachthemd an das hohe Fenster.
Vorsichtig spähte sie hinaus. Auch in Norderbrake waren die Nächte dunkel
gewesen, denn die paar Lampen des Dorfes hatten die Nacht nicht gestört, aber
hier war sie eingebettet in Schwärze, die nur von den Lichtsplittern der Sterne
unterbrochen wurde. Bei dem ständigen geheimnisvollen Getriebe in den Büschen
war es kein Wunder, dass die Javaner sich von bösen Geistern umzingelt fühlten,
dachte sie.
    Neele war froh, dass das Schlimmste erst einmal abgewendet war. Sie
hatten Menschen gefunden, die sie unterstützten. Aber wie sollte jetzt ihre
Zukunft aussehen? Sie konnte doch nicht ewig hier in diesem Spukhaus wohnen,
schon gar nicht, wenn das Kind erst auf der Welt war! Und sie wollte sich auch
nicht nur irgendwie durchbringen, sie wollte einen Ort, an den sie gehörte, an
dem sie zu Hause war und ihr Teil tun konnte. Es machte sie nervös, dass sie so
vieles um sich herum überhaupt nicht verstand und die hier wohnenden Landsleute
offenbar kein Interesse an den Antworten auf ihre Fragen hatten. Sie wollte
wissen, was aus dem Personal des Waisenhauses und den Kindern geworden war. Sie
konnten doch nicht alle gestorben sein? Warum waren die Überlebenden nicht
zurückgekehrt? Wenn sie heimatlose Waisen waren, warum waren dann nicht
zumindest einige von ihnen geblieben?
    Müde streckte sie sich auf dem Bett aus. Sie war froh über die neue
Matratze, bei der sie nicht befürchten musste, Mäusenester darin vorzufinden.
Es war schon schlimm genug, dem hektischen Geraschel in den Wänden zu lauschen,
wo die Nager jetzt ihr Unwesen trieben. Morgen, nahm sie sich vor, würde sie
alles noch einmal putzen und die alten Vorhänge wegwerfen. Besser nackte
Fenster als diese Staubfänger. Sie stellte sich vor, wie Tante Käthe und ihre
Wirtschafterin sich auf dieses Haus gestürzt hätten. Was wäre das für ein Fest
für Feudel, Besen und Wischlappen gewesen! Ein Lächeln umspielte ihre Lippen.
Vielleicht wurde ja doch noch alles gut. Vielleicht ergab sich irgendeine
Möglichkeit, von den Leuten hier das Geld zu erbitten oder sich zu verdienen, das sie nach Deutschland zurückbrachte. Denn bleiben wollte
sie auf keinen Fall, mochte es hier noch so schön sein. Nicht einmal in den
europäischen Stadtteilen und schon gar nicht dort, wo die Einheimischen
wohnten.
    Sie hatte den Nachmittag über hart gearbeitet und war rechtschaffen
müde, aber bald wachte sie wieder auf. Sofort merkte sie, dass es in diesem
Land äußerst unbequem war, bei geschlossenen Fenstern zu schlafen. Die Schwüle
stand im Zimmer wie Gelee. Neele begann zu schwitzen, und je öfter sie sich von
einer Seite zur anderen drehte, desto ärger wurde es. Schließlich stand sie auf
und klappte die drei Scheiben gerade so weit auf, dass ein Luftzug
hindurchziehen konnte. Das machte es besser, und unerwartet rasch fiel sie in
einen tiefen, erfrischenden Schlaf.

3
    N eele erwachte früh
am Morgen. Als sie vorne am Treppenabsatz stehen blieb, stellte sie überrascht
fest, dass ein kräftiger Geruch nach Kaffee und Backwerk aus der Küche
heraufstieg. Sie folgte dem Geruch und fand dort jemand am Werk vor. Vor dem
kleinen Nebenherd, an dem sie selbst am Vorabend gekocht hatte, stand ein verhutzeltes
braunes Weiblein im bunten Sarong, ein ebenso farbenprächtiges Batiktuch um den
Kopf geknotet. Neele sah, dass sie Kaffee aufbrühte und eben ein Blech voll
flacher kleiner Kuchen aus dem Rohr holte. Die Alte warf ihr einen Blick zu,
kümmerte sich aber nicht weiter um sie, sondern trug einen Teller mit Kuchen
und eine Kaffeekanne nach oben – zweifellos das Frühstück des Pastors. Als
Neele ihr neugierig zur Hintertür folgte, sah sie gerade noch, wie die krumme
Gestalt durch den Garten davonhuschte.
    Jemand hatte auf der Straße draußen auf sie gewartet: ein
kurzbeiniger brauner Mann mit einem zu großen Kopf und einem Kugelbauch, der
unter seinem schmutzigen senfgelben Umhang hervorguckte. Er trug wie ein Hirte
einen langen Stab in der Hand, den er jetzt drohend gegen die alte Frau reckte.
Einen Augenblick lang erschrak Neele heftig, weil sie dachte, er würde das Weiblein
schlagen. Sie wollte schon hinaus und ihr zu Hilfe eilen, aber wie der Mann den
Stab hielt, war es eher eine magische als eine gewalttätige Drohung. Sein
runzliges Gesicht mit den vorstehenden Augen verzog sich zu

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