Im Land der Mond-Orchidee
sein Kopf hing auf die Brust. Neele stieà einen
Schreckensschrei aus, als Paula den Kopf des alten Mannes hob und sie in ein
blaugraues Gesicht blickte.
»Schnell«, rief Paula. »Hilf mir, ihn hochzuheben und ins Zimmer zu
schaffen! Wir müssen auf jeden Fall seine FüÃe hochlagern, damit das Blut
wieder zum Kopf strömt.«
Der alte Mann war hoch gewachsen, aber so dünn, dass es für die
beiden Frauen keine groÃe Mühe bedeutete, ihn ins Hinterzimmer zu ziehen und
dort auf das Sofa zu bugsieren, auf dem er zu schlafen pflegte. Neele stopfte
alle Sofakissen, die sie erreichen konnte, unter seine Knie, während Paula ein
Becken kaltes Wasser und Tücher holte. Sie öffnete ihm den Kragen, dann tauchte
sie ein Tuch ins Wasser, wrang es aus und legte es dem immer noch halb
Bewusstlosen auf die Stirn. Die kalte Kompresse half. Seine Lider begannen zu
flattern, wenn auch nur schwach, und er lieà ein leises Seufzen hören.
Paula redete ihm gut zu, obwohl sie nicht wusste, ob er sie hörte.
Er solle nur ruhig liegen bleiben, es würde schon alles getan, damit es ihm in
Kürze besser ginge. Zu Neele gewandt, sagte sie: »Es muss die Hitze sein, die
ihn umgeworfen hat. Erinnerst du dich, was Dr. Bessemer uns über die Zeit
zwischen den Jahreszeiten erzählte, die Kenteringstyden? Dass dann so viele
Menschen erkranken, weil das Klima so enorm ungesund ist? Und der arme Alte hier
ist dünn wie ein Besenstiel, bei dem braucht es nicht viel, ihm die letzte
Kraft zu nehmen.«
Neele war derselben Meinung. Sie zog dem alten Mann die Schuhe aus,
deckte ihn zu und brachte aus der Küche einen groÃen Krug Wasser herauf. Es
gelang ihr, ihn so weit aufzuwecken, dass er sich das Wasser einflöÃen lieÃ,
aber sie musste ihm Schluck für Schluck gut zureden.
»Ist Lestari nicht da?«, flüsterte er. »Die
alte Frau, die für mich kocht. Habt ihr sie nicht gesehen?«
Neele hatte keine Ahnung, wie oft die Alte kam, aber sie sagte: »Sie
wird bald wiederkommen. Bleiben Sie jetzt nur ganz ruhig liegen.«
»Ich wünschte, Lennert wäre da«, sagte Paula. »Ich finde, er sieht
gar nicht gut aus. Sieh dir nur seine Lippen an, wie bläulich sie sind! Ob er
etwas mit dem Herzen oder der Lunge hat? Was sollen wir machen, wenn es ihm
schlechter geht? Am besten, du läufst hinüber zu den Hagedorns und erzählst
ihnen, was los ist. Sie haben eine Kutsche, sie können den Arzt holen oder den
Pastor zu ihm bringen.«
Neele zögerte. Ihr Herz klopfte heftig bei dem Gedanken, dass sie
sich ganz allein auf den Weg machen sollte. Es war zwar helllichter Tag, und es
war ja auch nicht weiter als eine Viertelstunde, wenn sie ein flottes Tempo
einschlug, aber das verfilzte Grün war ihr unheimlich, und welchen Gefahren
mochte sie sich aussetzen, wenn sie die StraÃe so dahinlief! Andererseits
wusste sie nicht, ob der alte Mann nicht ernsthaft krank war; er mochte
dringend ärztliche Hilfe brauchen.
»Ich gehe schon.« Sie warf ihr Umschlagtuch
um und lief zur Haustür hinaus. Das Grün des Gartens schien von allen Seiten
nach ihr zu greifen, so dicht hingen die ungestutzten Hecken über den Pfad. Ein
trillernder Lärm drang zwischen den Zweigen heraus. Sie lief auf die StraÃe und
schlug die Richtung zum Haus der Hagedorns ein, verfolgt von der Angst, aus dem
smaragdgrünen Dickicht könnte unversehens eine Schlange oder ein anderes
erschreckendes Tier auftauchen. Sie sah jedoch nur Vögel, die quer über die
StraÃe hüpften und dann auf niedrige Ãste flatterten. Es war auch kein Mensch
zu sehen. Jetzt hätte sie einen der Bauernkarren brauchen können, die die
BergstraÃe benutzten, aber kein knarrendes Rad war zu hören, kein schwerer
Schritt der Hufe, kein Peitschenknallen des Kutschers.
Anfangs lief sie, aber die drückend heiÃe Luft legte sich ihr so
schwer auf die Glieder, dass sie zu keuchen begann und sich zurücknehmen
musste. Es war heià und feucht, und eine bleierne Schwere lag in der Luft, die
ein Gewitter erwarten lieÃ. Dunstige Schleier zogen über die Sonne.
Plötzlich erstarrte sie mitten in der Bewegung. Sie war um eine
scharfe Kurve gebogen, und da, genau vor ihr, stand der Mann im senfgelben
Umhang. Er sprach sie nicht an, ja, er schien sie überhaupt nicht zu sehen,
seine vorquellenden Augen blickten durch sie hindurch, und doch erschreckte
seine Erscheinung
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