Im Land der Mond-Orchidee
von zu Hause gekannt hatte. Verständlich, dass sie
völlig zerstört war, als die böse Ãberraschung über sie hereingebrochen war.
Sie brauchte jemand, der ihr zuhörte und sie ermunterte und ihr Mut machte,
damit sie sich auf die so völlig unerwartete Situation einstellen konnte.
Das Dumme war nur â und das wussten sie beide â, dass Ameya auf
keinen Fall kurzerhand zum Waisenhaus reiten und sich dort mit ihr unterhalten
konnte. Für die WeiÃen war jede Art von Beziehung zwischen einem Javaner und
einer weiÃen Frau, und wenn es nur eine harmlose Unterhaltung gewesen wäre,
höchst ungehörig. Man hielt sich voneinander fern. Das hatte schon Frau
Hagedorn deutlich erkennen lassen. Und nicht auszudenken wäre es gewesen, wenn
der Verdacht aufkam, dass ein solches Paar sich in aller Innigkeit nahekam. Ein
Mann von niedrigem Stand, wie ein Plantagenarbeiter, wäre vermutlich sogar
gelyncht worden, und selbst ein reicher und angesehener hätte bittere
Feindschaft auf sich gezogen. Die beteiligte Frau wurde auf alle Fälle in ihrer
Gemeinschaft geächtet.
Ameyas Gesicht war ausdruckslos, als er sagte: »Ist es nicht seltsam,
Dr. Bessemer, dass wir Leute, denen die Insel gehört, den Tod fürchten müssen,
ob uns unsere Gäste nun willkommen sind oder nicht? Mit Gewalt haben sie alles
an sich gerissen, was uns gehört, mit Gewalt wollen sie uns alles wegreiÃen,
wenn wir sie einladen hierzubleiben.«
Der Ãltere machte eine achselzuckende Bewegung. »Man muss das Leben
nehmen, wie es kommt, und sich möglichst ruhig verhalten. Und zusehen, ob man
nicht durch die Hintertür hineinkommt, wo es keine Vordertür gibt. Die Sache
ist eine Untersuchung wert, und es kann uns niemand verwehren, dass wir
gemeinsam dort auftauchen und die Untersuchung gemeinsam führen, denn dazu sind
wir ja da. Halten Sie sich eben ein wenig im Hintergrund, wenn es um die beiden
weiÃen Damen geht, und suchen Sie nicht allzu auffällig den Kontakt â aber das
brauche ich Sie ja nicht zu lehren.«
Möglichst unaufdringlich zu sein gehörte auf Java zum guten Ton, bis
hin zu der Sitte, anderen Leuten nicht in die Augen zu schauen. Dr. Bessemer
hatte es nie geschafft, seinem Kollegen verständlich zu machen, warum in
Deutschland gerade der direkte Blick in die Augen des anderen als Zeichen von
Aufrichtigkeit galt und die javanische Höflichkeit als ein »falsches Lächeln
und Beiseiteschielen« abgetan wurde. Es war nur eines der vielen
Missverständnisse, die den unterschiedlichen Kulturen der Insel das Leben sauer
machten.
Ameya nickte zustimmend und nippte an seinem Palmwein.
Da der Regen bis in den späten Nachmittag nicht aufhören wollte,
beschlossen die beiden Beamten, lieber im Losmen zu übernachten, als die
Heimfahrt auf der überschwemmten BergstraÃe zu riskieren. Noch war die Regenzeit
nicht angebrochen, auf das Gewitter würde am nächsten Tag wieder Sonnenschein
folgen, sodass sie ungehindert heimkehren konnten. Beide waren es gewohnt, auf
Reisen mit einfachen Quartieren vorliebzunehmen. Sie gingen früh zu Bett, jeder
in seinem Zimmer.
Ameya verriegelte die Tür von innen, ehe er sich auskleidete. Das
war eine VorsichtsmaÃnahme, die er immer traf, selbst in seinem eigenen Heim.
Er konnte nicht riskieren, dass ein zufällig vorbeikommender Diener oder ein
neugieriges Zimmermädchen das Geheimnis entdeckte, das er so angstvoll hütete.
Manchmal hasste er sein Volk für seinen Aberglauben, der ihn zwang, das Leben
eines AusgestoÃenen zu führen â eines Mannes, dem niemand seine Tochter zur
Frau geben würde, den keine Familie als Schwiegersohn aufnehmen würde. Aber waren
die Europäer denn besser? Sein deutscher Kollege, dem das Geheimnis sich bei
den vielen gemeinsamen Reisen notgedrungen enthüllt hatte, zeigte Verständnis
für ihn, aber er hätte nicht gewagt, sich einem anderen WeiÃen zu offenbaren.
Sie mochten weniger abergläubisch sein als die Javaner, aber auch sie hatten
ihre Vorurteile und fixen Ideen. Nein, er war dazu verurteilt, ein einsames
Leben im Schatten eines Geheimnisses zu führen, das niemals bekannt werden
durfte.
Er lieà die Kleider fallen und hängte sie dann säuberlich an die
Reihe von Haken an der Wand, die als Garderobe dienten. Dann ging er in das
Badezimmer, das an die Schlafkammer anschloss, und schöpfte Wasser aus
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