Im Land der Mond-Orchidee
Spukhaus! Alle,
die darin wohnen, müssen sterben !«
Neele erwiderte verdrieÃlich: »Ich weià nicht, was es da so zu
lachen gibt. Die Waisen sind tatsächlich gestorben.«
»Natürlich ist das traurig. Ich lache auch nur, weil wir für die
Leute hier Bewohner eines Spukhauses sind. Ich wette, sie haben alle Angst,
nachts hier vorbeizugehen, und die jungen Burschen fordern einander heraus, wer
sich traut. So wie wir Angst vor dem Opferstein hatten. Wärst du vielleicht
nachts auf den Hügel hinaufgegangen?«
Neele musste zugeben, dass sie das ganz gewiss nicht getan hätte.
Eines Morgens ging Neele hinaus, um in aller Frühe Wasser aus dem
Brunnen zu holen, und beiÃender Rauch stieg ihr in die Nase. Besorgt, ob es
vielleicht irgendwo brannte, eilte sie ums Haus herum zur Vordertür. Der Rauch
kam nicht aus dem Inneren des Gebäudes, sondern wehte in dünnen Fäden von der
Gartenpforte herüber. Sie eilte hin, öffnete das Tor und prallte angewidert
zurück. Auf der Schwelle stand ein kupferner Kochkessel, angefüllt mit einem
schillernden Absud, gelben Tierknochen und den schmorenden Ãberresten eines
groÃen schwarz gefiederten Vogels.
Im selben Augenblick, als sie den Kessel entdeckte, erhoben sich vom
Haus her die kurzatmigen, heiseren Schreie einer Greisenstimme. Halb angezogen,
den schwarzen Mantel über dem Nachthemd, kam der Pastor in den Garten gelaufen,
fuchtelte mit den Händen und gab ein Durcheinander von Flüchen und Gebeten von
sich. Hinter ihm erschien Lestari, die bereits in der Morgendämmerung ins Haus
gekommen sein musste, und bemühte sich, ihn zurückzuziehen, wobei sie
gleichzeitig Neele bedeutete: Weg mit dem Zeug, weg damit!
Neele fasste widerwillig die beiden Henkel des Kupferkessels und
schleppte ihn quer über die StraÃe, wo sie ihn über die Böschung hinunterwarf.
Wo die üble Suppe darin auf Blätter und Stängel traf, vergilbten sie auf der
Stelle.
Obwohl die Henkel sauber gewesen waren, rannte die junge Frau ins
Haus zurück und wusch sich die Hände mit der harten, schmierigen Seife, bis sie
sicher sein konnte, dass sie jeden noch so winzigen Rest von sich abgeschrubbt
hatte. Der Ekel drehte ihr beinahe den Magen um, noch mehr aber bedrückte sie
der Gedanke, dass der Suduk â wem anders war eine solche Niedertracht
zuzutrauen? â sich nicht mehr mit drohenden Gesten und beschwörerischem
Gemurmel begnügte, sondern ihnen seinen bösen Willen drastisch vor Augen
führte. Was würde ihm als Nächstes einfallen?
Tief besorgt stieg sie in die Küche hinunter. Lestari war nicht da.
Augenscheinlich war sie damit beschäftigt, den Pastor zu beruhigen und wieder
auf die Beine zu bringen. Neele brühte Kaffee auf, holte ein Tablett mit den
Reiskuchen vom Vortag aus dem Schrank und deckte den Küchentisch. Dann weckte
sie Paula und Lennert, die das verzweifelte Geschrei des alten Mannes nicht
gehört hatten.
Während sie Kaffee tranken, erzählte sie den Freunden, was sich
ereignet hatte. Lennert stand augenblicklich auf, um nach dem Kranken zu sehen,
kam aber gleich wieder mit der beruhigenden Nachricht, dass Lestari es mittels
Kräutertee und Arrak geschafft hatte, seine Erregung zu dämpfen. Er lag jetzt
im Bett und las in seiner Bibel.
Paula zeigte sich beunruhigt. »Wer weiÃ, was diesem unheimlichen
Menschen noch einfällt? Wenn er alle WeiÃen hasst, ist er da nicht imstande,
uns das Haus über dem Kopf anzuzünden?«
»Ich glaube nicht, dass er so weit geht«, widersprach Lennert. »Wie
Neele sagte, ist er schon einmal im Gefängnis gesessen, weil er WeiÃe
belästigte, und muss damit rechnen, dass er wieder verhaftet wird. Wenn er das
Waisenhaus ernstlich angreifen wollte, hätte er das schon längst getan. Nein,
ich bin überzeugt, er wird nicht wagen, mehr zu tun, als uns mit seinen
Hexereien zu ärgern â und ich nehme doch an, keine von euch beiden glaubt, dass
er uns damit tatsächlich schaden kann?«
»Nein, natürlich nicht«, antworteten beide Frauen im Chor, aber
zumindest was Neele anging, war die forsche Antwort gelogen. Sie wusste nicht
recht, ob sie sich vor dem magischen Angriff als solchem fürchtete. Tante Käthe
hatte ihr beigebracht, wie es auch der Pastor von Norderbrake gepredigt hatte,
dass der Teufel in Ketten lag. Aber für jemand, der alle Macht verloren hatte,
schien der
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