Im Land der Mond-Orchidee
selbst anbauen, anstatt als Sklaven zu arbeiten,
viele Produkte blieben im Land, und das Verwaltungssystem wurde so geändert,
dass die Einheimischen fortan ein Mitspracherecht hatten. Dem Adel, der das
Land früher regierte, wurden Beamte der Kolonialbehören
zur Seite gestellt, wie Ihr Dr. Bessemer. Er sorgt dafür, dass ich meinen
Leuten nicht erlaube, die Holländer zu betrügen, und ich sorge dafür, dass die
Europäer nicht mehr verlangen, als ihnen zusteht. Manchmal ist das nicht leicht.«
Neele lauschte schweigend. Ihr Herz klopfte laut, wenn sie ihn
anblickte. Dabei sah er so fremdartig aus mit seinem glatten schwarzen Haar,
der flachen Nase und dem breiten Mund. Aber was für wunderschöne Augen er
hatte!
Sie war so in seinen Anblick versunken, dass sie der Rede ihrer
Begleiter gar nicht mehr folgte. Sie schreckte erst auf, als plötzlich Stille
eintrat: Das Orchester schwieg, das Puppenspiel stockte, und die vielen
fröhlich lärmenden Menschen verstummten mit einem Schlag. Eine Wolke
allgemeiner Bedrückung senkte sich auf die eben noch so muntere
Festgesellschaft. Und da war die Ursache: Im Fackelschein am Waldrand stand,
seinen Stab hoch erhoben, der Suduk, den Blick voll grimmigen Zorns auf die
Festgäste gerichtet. Neele hatte keine Ahnung, was ihm an dem Fest missfallen
mochte, aber er hatte es vollbracht, allen gründlich die Laune zu verderben.
Kinder begannen zu weinen, und die ersten Gäste machten Anstalten, sich
davonzuschleichen.
Da stand plötzlich Ameya auf. Mit festen Schritten näherte er sich
dem Greis, der ihn bösartig anstarrte, und redete ihn mit lauter Stimme an.
Neele verstand seine Worte nicht, da er Sundanesisch sprach, aber dem Klang war
zu entnehmen, dass er dem Suduk Vorwürfe machte, weil er das Fest störte, und
ihn aufforderte zu gehen. Der Alte zögerte. Natürlich hätte es für ihn einen
Gesichtsverlust bedeutet, sich wegschicken zu lassen, aber Ameya hatte sich
zweifellos als Beamter zu erkennen gegeben, und auch ein Suduk konnte verhaftet
und ins Gefängnis gesperrt werden, wenn er sich der Behörde widersetzte. Mit
einem heiseren Fluch stieà er seinen Stab auf den Boden, wandte sich um und
verschwand im Wald.
Der Beamte kehrte zu den Festgästen zurück. Mit ausgebreiteten Armen
rief er ihnen fröhlich zu, sie sollten weiterfeiern. Tatsächlich begann das
Gamelan-Orchester wieder zu spielen, der Puppenspieler fuhr mit seiner Vorführung
fort, und als die Leute sahen, dass der Suduk nicht zurückkehrte, fingen sie
allmählich wieder an, zu essen und zu tanzen.
Lennert klatschte in die Hände, als der Wedono zu ihnen
zurückkehrte. »Der alte Bursche hat ja mächtig Respekt vor Ihnen gehabt!«, rief er.
Ameya zuckte die Achseln, aber es war ihm anzumerken, dass ihm diese
Anerkennung gefiel. Er sagte: »Das Volk hat groÃe Angst vor den Suduks. Es
schreibt ihnen übersinnliche Kräfte zu â sie könnten Krankheitsdämonen
beschwören, sich unsichtbar machen, sich in Tiere verwandeln ⦠Wir als
Behörde müssen darauf achten, dass sie nicht zu viel Einfluss gewinnen. Auch
die javanische Geschichte hat ihre dunklen Seiten, wie Sie sehen. Die Suduks
sind oft bösartige, menschenfeindliche und machtgierige Männer, denen es nur
darum geht, dass man ihnen mit Furcht und Unterwürfigkeit begegnet.«
»Sie haben offenbar keine Angst vor ihm gehabt«, bemerkte Paula
lächelnd.
Der Wedono zögerte, dann gab er eine diplomatische Antwort. »Ich
habe nicht gerne mit hasserfüllten Menschen zu tun und schon gar nicht mit
primitiven hasserfüllten Menschen.«
Neele empfand Stolz auf den jungen Beamten. Er hatte nicht verbergen
können, dass er selbst auch Angst vor dem Suduk gehabt hatte, und trotzdem war
er ihm so mutig entgegengetreten, um sie zu beschützen!
»Als ich dort im Wald auf ihn stieë, sagte sie, »wurde mir bei
seinem Gemurmel so merkwürdig zumute, mir wurde schwindlig, und um ein Haar
wäre ich zu Boden gesunken. Ich hatte wirklich Angst.«
Dann fügte sie hastig hinzu: »Auch wenn das kindisch gewesen sein mag.«
Zum ersten Mal an diesem Abend blickten die dunklen Augen direkt in
die ihren â kurz nur, dann erinnerte er sich an die Gebote javanischer
Höflichkeit und wandte den Blick wieder ab. »Nein, kindisch war es gewiss
nicht«, erwiderte er. »Diese Männer haben eine starke
Weitere Kostenlose Bücher