Im Land der Orangenbluten
Das Tier stahl gerne das kleinen Löffelchen, um damit zu spielen.
»Ach, lass ihn doch.« Julie nahm den Löffel und hielt ihn Nico hin, der auch gleich fröhlich mit seiner Beute in die Ecke der Veranda hüpfte.
Julie beschloss, einige Dinge herauszufinden. Das Thema ließ sie sowieso nicht los, und wenn ihr hier jemand Auskunft geben konnte und würde, dann war es Amru. »Amru?«
Die Haussklavin hatte sich schon zum Gehen gewandt. »Möchte die Misi noch etwas?«
»Nein, ich möchte dich etwas fragen.«
Amru wandte sich wieder Julie zu. »Ja?«
»War das Zimmer oben für Felices Kind bestimmt?«
Amrus Gesichtszüge erstarrten. »Masra Karl sagt, niemand soll in das Zimmer, Misi!«
»Ich weiß, Amru, aber ich hab nur einmal kurz hineingesehen. Sag mir, was passiert ist damals!«
»Misi, ich ...« Amru knetete nervös ihre Schürze. »Vielleicht fragt Misi lieber Masra Karl.«
»Amru, du weißt genau, dass er über so was nicht mit mir reden würde ... wen sollte ich sonst fragen, bitte!«
Amru seufzte und setzte sich behäbig auf die Stufen der Veranda zu Julies Füßen. »Misi Felice war eine schöne Frau und so nett«, begann sie. »Masra Karl und Misi Felice waren damals ein schönes Paar. Ihre Hochzeit war ein großes Ereignis hier auf Rozenburg. So viele Menschen, so viele Gäste.« Amru seufzte nochmals tief, warf Julie dann aber gleich einen peinlich berührten Blick zu. »Entschuldigung, Misi, ich meine natürlich ...«
»Schon gut Amru, schon gut. Ich weiß, dass Karl diese Felice wohl sehr geliebt hat.«
Amru nickte nur bestätigend. Nachdenklich schwieg sie einen Moment und beobachtete den Papagei, der sich immer noch emsig an dem Löffel zu schaffen machte. »Nico war der Vogel von Misi Felice. Aiku brachte ihn eines Tages mit aus dem Wald, er hatte ihn gefunden, das Tier war klein und schwach, wohl aus dem Nest gefallen. Eigentlich wollte er ihn für die Kinder im Dorf mitnehmen. Aber als Misi Felice das kleine Tier sah ... Sie hat ihn gefüttert und ihn Nico getauft. Nico war von da an immer an ihrer Seite. Als Misi Felice starb ... kam auch der Vogel nicht wieder.«
Nachdenklich betrachtete Julie das Tier. Jetzt war klar, warum Karl und auch Martina so verwundert auf sein Auftauchen reagiert hatten. Ihr Blick wanderte weiter zu Amru zu ihren Füßen, die gedankenversunken vor sich hin starrte. Sie sah der Sklavin an, wie sehr sie die Erinnerung erschütterte. Julie wartete eine Weile in der Hoffnung, mehr zu erfahren, aber Amru schien nicht gewillt, noch mehr preiszugeben. Seufzend entließ sie die Haussklavin, die sich mit schweren Schritten trollte.
Julie kam nicht umhin, nach einiger Zeit den gemeinsamen Mahlzeiten wieder beizuwohnen. Ihre Abwesenheit hätte vermutlich Karls Unmut heraufbeschworen, und sie konnte sich ja auch nicht auf ewig vor Pieter und Martina verstecken. Sie hatte neue Kraft geschöpft und fühlte sich ihnen wieder gewachsen.
Die Gedanken an das verstaubte Kinderzimmer und Karls wachsender Zorn über eine ausbleibende Schwangerschaft betrübte sie zutiefst, sie wusste aber auch nicht, wie sie den Zustand hätte ändern können.
Das Thema am Tisch wurde wieder einmal von der bevorstehenden Hochzeit beherrscht. Martina beklagte sich erneut: »Vater, ich kann das so nicht organisieren. Tante Valerie ...« Sogleich erstarrte sie, jetzt hatte sie sich verplappert!
Pieter warf resigniert seine Serviette auf den Teller. Karls Augen verzogen sich zu schmalen Schlitzen, und er fixierte seine Tochter.
»Was hatte ich gesagt, passiert wenn du deine Tante ...?«
»Vater, ich ...«
»Schweig, es reicht! Die Hochzeit wird so lange verschoben, bis du bereit bist, die Feier mit Juliette zu planen.«
Martina heulte auf. Jetzt machte auch Pieter ein betroffenes Gesicht. Er hatte nicht erwartet, dass sein zukünftiger Schwiegervater seine Drohung wirklich wahr machen würde.
»Karl, bitte, wir werden da doch eine Lösung finden«, versuchte er, die Situation zu retten.
Doch dieses Mal ließ Karl sich von Pieter nicht umstimmen.
Wenige Tage später erschien Jean Riard zu seinem Arbeitseinsatz auf der Plantage. Julie hatte sich bisher immer gefreut, wenn der junge Mann kam und versucht, ihm etwas Gesellschaft zu leisten, soweit es der Anstand zuließ. Diesmal saß sie aber nur betrübt, mit gedankenversunkenem Blick auf ihrem Platz auf der Veranda und versuchte erst gar nicht, ein Gespräch mit ihm zu beginnen.
Der Buchhalter, der durchaus spürte, dass auf Rozenburg eine
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