Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Land der Orangenbluten

Im Land der Orangenbluten

Titel: Im Land der Orangenbluten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: belago
Vom Netzwerk:
Ruhe und Ausgeglichenheit eingenommen. Das erste Mal seit langer Zeit schlief sie wieder tief und fest und ohne Sorge.
    »Warum du allein auf Fluss?« Jaminala stampfte mit den Fäusten in einer Schale mit Teig herum, während Erika neben ihr saß und Maniok schabte. Bisher hatte niemand im Dorf gefragt, woher sie kam. Bei den Oayanas wurden Gäste einfach aufgenommen und durften bleiben, solange sie wollten. Oft kamen aus entfernten Gegenden Besucher, blieben ein paar Wochen und verschwanden wieder. Manche Frauen blieben gar für immer. Niemand störte sich daran, jeder war willkommen. Erika fiel als Weiße zwar auf, aber da sie sich in die Gemeinschaft einbrachte, machte das keinen Unterschied. Nicht einmal ihre fortschreitende Schwangerschaft warf fragen auf. Die Oayanas waren ein friedliebendes Volk. Wenn jemand Hilfe benötigte wie Erika am Fluss, dann halfen sie ganz selbstverständlich. Nur mit einigen Stämmen der Buschneger gab es ab und an Streit. Aber inzwischen hatten sich die Oayanas so weit in das Hinterland zurückgezogen, dass auch das nur noch selten vorkam. Erika hatte inzwischen herausgefunden, dass sie sich an irgendeinem namenlosen Flüsschen im Hinterland befand, fernab jeglicher Ansiedlung. Die Männer, die sie gefunden hatten, waren auf dem Rückweg von einem längeren Jagdausflug gewesen und hatten Erika mitgenommen, da sie in der Nähe von keiner Plantage wussten.
    »Ich wollte in die Stadt«, antwortete Erika leise.
    »Du immer noch dahin wollen?« Jaminala knetete unablässig weiter. Erika wusste nicht, was sie antworten sollte. »Musst du fragen Kajaku, fährt in ein paar Tagen mit Männern Fluss Richtung Meer.«
    Erika nickte langsam und fand für den Rest des Tages keine Ruhe mehr. Sie lag die ganze Nacht wach und starrte in die Dunkelheit. Wollte sie wirklich in die Stadt? Sie dachte vor allem an Ernst van Drag: Ob er nach ihr suchen ließ? Andererseits konnte sie schließlich nicht für immer hier bei den Eingeborenen sitzen. Und in der Stadt ... vielleicht war Reinhard inzwischen zurückgekehrt? Sie hatte zwar Josefa damals in der Mission eine Nachricht für ihn hinterlassen, aber bis zu ihrer Flucht von Bel Avenier nichts von ihm gehört. Fast zwei Jahre ... Hätte er in all der Zeit nicht irgendwie versucht, ihr eine Nachricht zu übermitteln? Die Angst, ihn könnte das gleiche Schicksal getroffen haben wie die beiden anderen Missionsbrüder, übermannte Erika. Was, wenn er in den letzten Monaten in die Stadt zurückgekehrt war und sie suchte? Was, wenn er auf Bel Avenier gehört hatte, was seine Frau getan hatte, dass sie einen Menschen verletzt hatte ... oder gar Schlimmeres? Was, wenn er den Gerüchten glauben schenken würde, ohne je ihre Version gehört zu haben? Sie musste ihn finden.
    Sie würde ihm nie erzählen können, was Ernst van Drag mit ihr gemacht hatte, niemals! Aber wenn er erfuhr, dass sie diesen Mann angegriffen hatte, würde ihr schon eine Begründung einfallen. Er war ihr Mann, er würde ihr glauben. Und in diesem Moment stand ihr Entschluss fest: Sie würde in die Stadt fahren. Auch wenn das gefährlich war – denn hier würde sie ihr Mann nie finden.
    Die Bootsfahrt dauerte eine Ewigkeit. Kajaku und die anderen Männer machten ständig Rast, auch über mehrere Tage, hielten an jeder der verstreut am Ufer liegenden Siedlungen kleiner Eingeborenenfamilien und fuhren an einem Tag sogar noch einmal zurück, um jemanden zu treffen, der tags zuvor nicht anwesend gewesen war. Erika versuchte, Reiner so gut es ging auf dem Boot bei Laune zu halten. Das Kind aber war am vergnügtesten, wenn einer der Männer ihm ein Paddel gab und er, wie ein Großer, damit in das Wasser stoßen konnte. Erika fand das sehr gefährlich, das Kind so nahe am Bootsrand sitzen zu lassen. Die Männer aber lachten nur und ließen den Knirps gewähren.
    Überhaupt war ihr gar nicht wohl auf dem Boot. In ihrem Kopf tauchten Erinnerungen an ihre Flucht auf, Wasser, Kälte und die nackte Angst ums Überleben. Aber sie riss sich zusammen – in diesem Land ging nun mal nichts ohne Boot. Wie lange war sie jetzt bei den Oayanas gewesen? Viele Monate schon, sie hatte aufgehört die Nächte und Tage zu zählen. Reiner aber hatte sich binnen kürzester Zeit an das Leben im Regenwalddorf gewöhnt. Erika hoffte, er würde sich an die Zivilisation ebenso schnell wieder gewöhnen.
    Gottlob stieß sich auf ihrer Reise niemand daran, dass eine weiße Frau mit Eingeborenen reiste. Auch im Regenwald

Weitere Kostenlose Bücher