Im Land der Orangenbluten
Aus dem Dickicht am Rande des Lagers tauchte die erste Gruppe Arbeiter auf, und diese feixten mächtig, als sie Julie am Feuer erblickten. »Oh, schickt uns der Gouverneur jetzt schon Mädchen?«, johlten sie.
Julie setzte sich schnell kerzengerade auf und ordnete in dem kläglichen Versuch, wenigstens etwas Anstand zu bewahren, ihr Haar. Immer mehr Männer traten nun auf die Lichtung, und Julie versuchte, mit ihrem Blick in einem der verschmutzten und ausgezehrten Gesichter Jean zu erkennen.
»Julie?!« Aus dem Trupp löste sich die Gestalt eines Mannes und eilte auf sie zu. »Was um Himmels willen machst du hier?« Mit ungläubigem Gesicht stand Jean plötzlich vor ihr. Sie hätte ihn fast nicht erkannt. Er trug einen stoppeligen Bart in seinem schmutzigen Gesicht, und seine Kleidung war dreckig und zerrissen.
Julie durchfuhr eine Woge des Glücks. So lange hatte sie ihn gesucht, so lange hatte sie sich nach ihm gesehnt – und nun stand er endlich vor ihr! Sie sprang auf und fiel ihm um den Hals. »Jean, Gott sei Dank, ich hab dich gefunden!«, flüsterte sie in sein Haar, während Tränen des Glücks ihre Wangen hinabliefen.
Die Männer grölten und klatschten.
»Julie ... Julie, ist ja gut.« Jean löste sanft ihre Arme von seinem Körper und schob sie ein Stück von sich weg. Er wandte sich an die umstehenden Schaulustigen: »So Leute, jetzt ist es gut. Habt ihr keinen Hunger?«
Die Arbeiter machten noch den einen oder anderen derben Spruch, trollten sich dann aber an die verschiedenen Feuerstellen des Lagers.
Jean begrüßte Wico freundschaftlich, bevor er Julie in Richtung Flussufer führte, dort waren sie ungestört.
Ungläubig schüttelte er den Kopf. Sein Blick ruhte in ihrem, er konnte die Augen nicht von ihr wenden. »Was machst du nur für Sachen? Warum bist du hier? Wenn Karl das erfährt!«
Julie unterbrach ihn. Immer noch liefen Tränen über ihre Wangen. »Ach, Jean! Karl ist tot. Es ist so viel passiert.« Schniefend erzählte sie ihm, was seit ihrem letzten Treffen geschehen war. Sie sprach von dem Kind und von Karls Tod, Einzelheiten verschwieg sie jedoch.
»Karl ist tot? Und du meinst ... ich und du, wir haben ein Kind?«
Julie nickte. »Ja, wir haben einen Sohn. Er heißt Henry. Ich wollte es dir ja schon eher berichten, aber du warst verschwunden.« Sie konnte nicht vermeiden, dass ihre Stimme einen vorwurfsvollen Ton annahm.
»Julie ... ich war mir sicher, dass unsere Beziehung keine Zukunft hatte. Wir hätten uns nur unglücklich gemacht, und Karl ... auf längere Sicht wäre es nicht gegangen.« Er senkte betroffen den Kopf. »Ich wusste ja nicht ... hätte ich gewusst ... Und du bist ganz sicher, dass nicht Karl der Vater ist?«
»Ich weiß es!«
Jean schluckte schwer. »Und wo ist Henry jetzt?«
Als Julie ihm nun erzählte, wie Pieter sich die Plantage angeeignet und Henry als Pfand behalten hatte, schnaubte Jean wütend. So hatte Julie ihn noch nie erlebt.
»Dieser Mistkerl! Ich habe ja immer gewusst, dass er einen schlechten Charakter hat, aber das hier sprengt jeden Rahmen!«
»Jean, genau deswegen bin ich hier.« Julie nahm seine Hand und blickte ihm ins Gesicht. Wie sehr hatte sie ihn vermisst! Jede Faser ihres Körpers sehnte sich nach ihm, sie wollte ihre Zukunft mit ihm verbringen und würde ihn nie wieder loslassen. Er musste einfach mit zurück in die Stadt, gemeinsam würden sie die Situation auf Rozenburg schon meistern. »Ich allein kann nichts gegen ihn ausrichten! Ich hatte gehofft, dass du mir hilfst. Wir könnten vielleicht die Plantage übernehmen, ich meine, ich bin schließlich die Erbin.«
Jean schien nachzudenken. Nach einer Weile sagte er: »Julie, er ist nicht ganz im Unrecht. Du als Frau kannst die Führung der Plantage nicht übernehmen.«
Das hatte Julie auch schon herausgefunden. Und sich eine Lösung einfallen lassen. »Ich weiß. Aber wenn du ...?«, sagte sie zögerlich.
»Wenn ich ... was? Glaubst du, dass Pieter die Plantage einfach so aufgibt, wenn wir beide zurückkehren? Nie im Leben! Und selbst wenn du es schaffst, damit vor Gericht zu kommen, hat er einfach die besseren Karten. Zumal Martina ja auch ein gewisses Anrecht auf die Plantage hat.«
»Ja, aber Henry ebenfalls!«, protestierte Julie.
»Ja, natürlich. Aber wenn er gar nicht Karls Sohn ist ...«
»Das weiß doch niemand außer uns beiden, und es muss auch niemand erfahren.«
Jean zögerte. »Ich weiß nicht. Nein, das könnte ich nicht. Ich müsste dem Kind ja ständig
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