Im Land der Orangenbluten
ähnlich zu sein, ihr Auftreten glich dem einer kleinen Herrscherin. Julie wappnete sich innerlich gegen dieses hochmütige Mädchen. Martina würde ihr vermutlich nicht erfreut um den Hals fallen, wenn Julie die Situation gleich aufklärte. Damit hatte Julie zwar nicht gerade gerechnet, aber ein klein wenig Herzlichkeit hätte sie sich doch von ihrer neuen Stieftochter bei der Begrüßung gewünscht. Nicht nur ihr gegenüber.
»Also, Martina ... Ihr Vater hat mich nicht angestellt als Gouvernante, er ...« Wie sollte sie dem Mädchen das bloß erklären?
Noch während sie nach den passenden Worten suchte, hörte sie aus der Eingangshalle Karls Stimme. Kurz darauf betrat er den Salon. »Martina, du bist schon da?«
Martina sprang auf und fiel ihm um den Hals. »Vater, wie schön!«
Kurz huschte Karls Blick zwischen Martina und Julie hin und her.
»Wie ich sehe, hast du dich mit Juliette bereits bekannt gemacht?«
»Äh, nein. Vater, ich hatte dir doch gesagt«, Martina wandte sich jetzt zu Julie um, »ich habe Mejuffrouw ... Juliette bereits gesagt, dass ich keine neue Gouvernante anstellen möchte. Aber sie wird sicherlich eine andere gute Anstellung finden ...«
»Gouvernante?« Karl runzelte die Stirn. »Martina, es ist nicht so, wie du denkst.« Er schob seine Tochter wieder zu ihrem Sessel und nahm dann selbst Platz.
»Martina, also ... das ist Juliette. Wir haben in Europa geheiratet. Sie ist somit nun meine neue Frau und deine Stiefmutter.«
Julie bemerkte, dass Karl seiner Tochter die Information vollkommen emotionslos übermittelte. Dennoch schenkte sie Martina erwartungsvoll ein Lächeln. Sie hoffte, trotz der etwas ungewöhnlichen Umstände, Zugang zu diesem Mädchen zu bekommen. Sie war schließlich die einzige Gesellschaft, die Julie auf der Plantage erwarten konnte. Der eisige Blick, den Martina ihr zuwarf, zerstörte die Hoffnung jäh.
»Stiefmutter?«, fauchte Martina leise und stieß dann, an Karl gewandt, aus: »Wie konntest du nur ... du glaubst doch nicht ...?« Martinas Gesicht bekam eine zornige Röte, ruckartig stand sie auf und rannte aus dem Zimmer.
Karl rief mit donnernder Stimme hinter ihr her: »Martina, komm sofort zurück!« Doch Martina gehorchte nicht. Kopfschüttelnd faltete Karl die Hände. »Sie wird sich wieder beruhigen.«
Karl hatte eine Mietdroschke bestellt, die sie nach Sonnenuntergang durch die Straßen der Stadt brachte. Martina saß Julie schweigend und mit abgewandtem Blick gegenüber. Diese hätte sich für das Kennenlernen mit ihrer Stieftochter ein besseres Arrangement gewünscht. Aber so ... sie fühlte sich ebenfalls überrumpelt.
Nach einer scheinbar ewigen, von eisigem Schweigen geprägten Fahrt, hielt die Kutsche endlich an. Karl half Julie aus dem Wagen und hakte sie unter. Martina stapfte missmutig hinter ihnen auf das imposante Stadthaus zu. Die Fenster waren hell erleuchtet, und Musik drang nach außen. Julie hatte sich die ganze Zeit so über Martinas Benehmen geärgert, dass sie erst jetzt gewahr wurde, dass ihr nun der erste öffentliche Auftritt an Karls Seite bevorstand. Plötzlich wurde sie sehr nervös. Wem würde sie gleich alles vorgestellt werden? Würde sie alles richtig machen? Gab es gar besondere Verhaltensregeln in diesem Land, von denen sie noch nichts wusste? Karl würde sicherlich sehr böse, wenn sie ihn heute blamierte. Wie hieß noch mal die Gastgeberin? Julie hatte es vergessen. Aber jetzt war es sowieso zu spät, ein Sklave in Livree, allerdings ohne Schuhe, nahm sie an der Tür in Empfang.
Sobald das Ehepaar Leevken den Salon betrat, zog es die Aufmerksamkeit eines Großteils der Gäste auf sich. Karl begrüßte souverän einige der Anwesenden und stellte Julie vor. Die Gastgeberin, Charlotte van Beckers, eine füllige, blonde Frau mit geröteten Wangen, vereinnahmte Julie sofort.
»Ach, wie schön, Sie endlich kennenzulernen! Ich hab ja schon so viel von Ihnen gehört. Möchten Sie nicht mitkommen? Die Damen freuen sich sicherlich über Ihre Gesellschaft.«
Widerspruch war zwecklos, und so löste sich Julie von Karls Arm und folgte Charlotte van Beckers in eine Damenrunde. In der Tat, die Gastgeberin hatte nicht gelogen: Die Frauen belagerten Julie gleich mit vielen Fragen. Was gab es Neues vom Königshaus? Was würde wohl bald modisch aktuell sein? Wie kam es zu der Heirat nach Surinam?
Julies Kopf brummte. So viele neue Namen und Gesichter! Freundlich versuchte sie, alle Fragen zu beantworten, den Teil über die
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