Im Land der Orangenbluten
hier schnell die ersten Worte sprechen zu können.
Nach dem Frühstück blieb Julie unschlüssig am Tisch sitzen. Und was sollte sie jetzt tun? Karl war fort, und sie war allein in diesem Haus. Ob sie sich darin umsehen durfte? Auch wenn sie allzu neugierig auf den Rest des Hauses war, entschied sie sich für ihr Zimmer. Sie fühlte sich hier fremd und noch als Gast, nicht als Hausherrin, und es gehörte sich nicht, in fremden Häusern herumzustöbern. Sie hatte kaum ihren Schlafraum betreten, da ließ ein dumpfes Grollen sie zusammenzucken. Als sie an das Fenster trat, sah sie, dass der Himmel sich zugezogen hatte und schwarze Wolken tief über den Dächern der Häuser lagen. Dann sah sie auch schon einen Blitz zucken, dicht gefolgt von einem bedrohlichen Grollen. Ein kühlender, kräftig böiger Wind kam auf, der die Palmblätter heftig durcheinanderwirbelte. In diesem Moment begann es zu regnen. Julie trat einen Schritt zurück und schloss die Tür. Der Regen perlte an der feinen Gaze ab – ob sie auch noch die Läden schließen sollte? Fasziniert beobachtete sie aber, welche Wassermassen da jetzt vom Himmel stürzten. Das hier war kein Regen, das war eine Sintflut. Karl hatte ihr von den beiden Regenzeiten im Jahr erzählt, und sie versuchte, sich an die entsprechenden Monate zu erinnern. Mitte April kam ihr in den Sinn, dann ging das wohl bis zum August. Die zweite Periode, so meinte sie sich zu erinnern, war dann von Dezember bis Februar, also im Winter, sofern man hier davon sprechen konnte. Erst jetzt ging ihr auf, dass fast acht Monate Regenzeit auch nicht unbedingt gutes Wetter verhießen. Und nun schüttete es wie aus Eimern, obwohl noch nicht einmal Regenzeit war. Julie war gespannt, welche Überraschungen das Wetter noch für sie bereithalten würde.
Aber so schnell, wie das Unwetter gekommen war, hörte es auch wieder auf. Die Wolken trieben weiter, und die Sonne kam zum Vorschein. Von der nassen Straße stiegen sofort Dunstschwaden auf, schnell war auch die leichte Abkühlung dahin.
Plötzlich fühlte Julie sich entsetzlich einsam. Sie sehnte sich nach Sofia und dem Internat, sogar nach der Enge ihres kleinen Zimmers. Wie gerne wäre sie jetzt mit Sofia an der Stadtmauer entlangspaziert, hätte den Enten auf dem Weiher zugesehen und mit ihrer Freundin geredet. Sie sehnte sich auch nach Wim, der jetzt sicher gewusst hätte, was zu tun war. Einen kurzen Moment sehnte sie sich sogar auf das Schiff zurück, auf den Austausch mit den anderen Frauen. Was Erika und Wilma wohl gerade machten?
Sie versuchte, die aufsteigenden Tränen zu unterdrücken. Sie musste jetzt stark sein, in die Zukunft schauen. Wenn sie doch nur wüsste, was auf sie zukam! Julie verbrachte eine weitere, unruhige Nacht allein in ihrem Zimmer.
Entgegen aller Planungen eröffnete Karl ihr am nächsten Tag, der Aufenthalt in der Stadt würde doch noch einige Tage länger dauern. »Wir haben bereits eine Einladung erhalten«, erklärte er ihr weiter, wobei sein Gesicht einen seltsam zufriedenen Ausdruck zeigte.
Julie wusste nicht recht, ob sie sich freuen sollte. Natürlich wäre es schön, Kontakte in der Kolonie zu knüpfen. Aber auch da würde sie für Karl nur Mittel zum Zweck sein.
Zudem machte das Klima Julie unsäglich zu schaffen. Sicherlich hatte sie damit gerechnet, dass es warm war in Surinam. Aber so? Die Tageshitze war so drückend, und Julie hatte das Gefühl, nicht atmen zu können, und sie litt unter einem stetigen Schwindelgefühl. Der Schweiß lief ihr in Strömen den Rücken herunter. Foni reichte ihr zwar in regelmäßigen Abständen erfrischende Getränke und feuchte Tücher, die ihr Leiden allerdings nicht besonders linderten. Am Abend war sie froh, als die Sonne vom Himmel verschwand und die Luft sich etwas abkühlte. Aber an einen erholsamen Schlaf war auch in dieser Nacht nicht zu denken. Julie wälzte sich zwischen den durchgeschwitzten Laken und stand mehrmals auf, um sich trockene Kleidung anzuziehen. Wie sollte sie das nur auf Dauer aushalten?
Einen Tag später saß Julie in ihrem Zimmer vor dem Spiegel in dem Versuch, sich einer Feierlichkeit entsprechend herzurichten. Ihr graute es davor, ein Kleid aus schwerem Stoff zu tragen, außerdem kräuselten sich ihre Haare in der feuchtwarmen Luft zu einem unbändigen Durcheinander. Wieder war es Foni, die ihr zu Hilfe kam. Sie brachte ihr ein wohlriechendes Öl, welches sie sparsam auf Julies Haare auftrug.
»Foni, das duftet ja wunderbar!« Julie schluckte
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