Im Land der Regenbogenschlange
»wurde von Fred gerettet«. So sagt er es. Saà genau die Hälfte seines Lebens hinter Gittern, von 1972 bis 2000. Weil er einen Nachbar, mit dem er seit Jahren um ein paar Quadratmeter Land stritt, über den Haufen geschossen hatte. Will man Jacks Version glauben, könnte man als mildernden Umstand anführen, dass der Mann auf langes, geduldiges Zureden nicht hören wollte. Der Dicke berichtet nicht ohne Stolz aus seinem Knastleben. Obwohl sich seine Familie von ihm abgewandt hat und er heute keine Ahnung hat, wo seine Brüder und Eltern leben, ob sie überhaupt leben. »I don't give a damn.«
Er war einer der Chefs im Zuchthaus. »Sonst überlebst du nicht.« Er fragt, ob ich wisse, wie es in solchen Anstalten zugehe, ob ich zum Beispiel die »quick soap position« kenne? Sie geht so: Ein neuer Gefangener betritt die Dusche, jemand lässt die Seife fallen, ein Zweiter fordert den Fremden auf, sie aufzuheben, und der Dritte kommt von hinten an ihn ran, drückt ihn gegen die Fliesen, penetriert ihn und ist bereit â sollte der Vergewaltigte es wünschen (!) â, ihn gleichzeitig zu masturbieren. Ein Willkommensritual, um unverzüglich die Verhältnisse klarzustellen. »Widerstand absolut zwecklos.« Wenn doch, dann unterschreibe man eine Aufforderung, sich zum Tetraplegiker zurichten oder einen spitzkantig gewetzten Löffel (es gab keine Messer im Besteck) in den Brustkorb rammen zu lassen. Noch in der Dusche. Ich frage Jack, wie er nach den 28 Jahren die Homosexualität wieder loswurde. »Just like that.« Sobald wieder Frauen zugänglich waren, wurde er wieder »fucking normal«.
Sagt's und steht auf, um die Fleischsuppe umzurühren. Denn Jack boxt nicht mehr, er ist der Koch der Mannschaft, hantiert mit den Wildwest-Töpfen, die über dem Lagerfeuer hängen, brutzelt Steaks und Würstchen, verteilt das Bier. Chris, seine Freundin, hilft ihm dabei. Sie war Zuchthaus-Wärterin. Love is a many splendid thing .
Der ganze Hinterhof taugt als Beichtstuhl. Irgendwann steht Blair Wilson neben mir. Er ist der Star der Truppe, »Cowboy« genannt, 32 Jahre, good looking, sympathisch, ungeschlagen im Zelt. (Sein Bruder Colin ist jedoch der bekanntere von beiden, er trat im April 2007 in Stuttgart gegen Oleg Platov um den IFB International Continental Heavy Weight Title an. Und verlor.) Hauptberuflich arbeitet Blair als concreter . Da Australien riesig ist, gibt es riesige Flächen zu asphaltieren. Die Geschäfte laufen, seine sechs Angestellten sind voll beschäftigt. Das muss sein, denn â er trinkt 26 Dosen während der nächsten sechs Stunden â allein knapp 3000 Dollar spült er hinunter, monatlich. Blair erzählt kein Wort von seiner kriminellen Vergangenheit. Er weià nicht, dass ich inzwischen weiÃ, dass auch er einsaÃ. Ãberfälle, keine Leichen. Dafür spricht er â Fred hat es schon in Cracow angedeutet â von den »pretty girls«, den Boxer-Groupies, die hinterher auf die Helden warten. Um heldenhaft erbeutet zu werden. (Ich merke mir die Information vor, das will ich sehen. Ich beneide immer Männer, für die reihenweise Frauen ausharren.)
Paul gesellt sich zu uns, der Vater von Blair und Colin. Unter einem Vorwand führe ich ihn weg von seinem Sohn. Allein offenbart sich's leichter. Der 57-Jährige war beim SAS , dem Special Air Service , der Elitetruppe der australischen Armee. Einsatz in Vietnam, nach der Entlassung wird er Bankräuber, die Ausbildung dafür hätte nicht besser sein können. Er schwindelt rührend: »Ich bin der einzige Kriminelle in der Familie.« Sechsmal raubt er erfolgreich, beim siebten Mal platzt der linke Hinterreifen des Fluchtautos. Paul rennt davon, den Sack mit 127â000 Dollar auf dem Buckel. Auf Zurufe der Polizei will er nicht hören, sie feuern, er fällt wie ein Baum. Er bekommt sieben Jahre, die ersten sechs Untaten konnte man ihm nicht nachweisen. Als er rauskommt, ruft er Freund Fred an, den Resozialisierungs-Helfer aller Outback-Gangster. Und wird Boxer. Das war 1988.
HeiÃer Nachmittag, Leute kommen und gehen, Jack kocht und serviert die kinderklobrillen-groÃen Steaks, das Feuer knistert, ein Leben wie bei den Boy Scouts. Mit dem Unterschied, dass jeder seine Bierdose wie einen Tropf mit sich herumträgt. Manche der Halunken sind noch auf Bewährung frei. Egal, jeder will gestehen. Sicher der
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