Im Land der tausend Sonnen
die Leute ihn bemitleideten und ihn gleichzeitig bewunderten, weil er so lange draußen in der Wildnis durchgehalten hatte.
Bisher hatte er geschwiegen. Er wusste um seine Neigung, zu viel zu reden, das Falsche zu sagen, und deshalb verschanzte er sich hinter einem Gedächtnisverlust. »Ich erinnere mich kaum an etwas«, hatte er bislang immer zur Antwort gegeben.
Irgendwann einmal, so erinnerte er sich, hatte er gesagt, dass das Pferd ihn abgeworfen hatte, und selbst das war schon ein Fehler. Die nahe liegende Frage daraufhin lautete nämlich: »Was hast du da draußen getrieben?«
Und er wusste nicht, was er antworten sollte. Noch nicht. Konnte sich nicht entscheiden.
Beitz glaubte ihm bestimmt nicht. Das lag auf der Hand.
»Wieso erinnerst du dich nicht?«, hatte er unverblümt gefragt. »Mit deinem Kopf ist doch alles in Ordnung.«
Eva Zimmermann hatte ihn gerettet. »Das ist der Schock, Herr Pastor. Und er war tagelang Wind und Wetter ausgeliefert! Es ist ein Wunder, dass er an seinen Verletzungen nicht gestorben ist, ganz zu schweigen vom Durst. Die Leute in der Stadt sagen, er ist ein Held, unser Lukas, weil er den Mut und die Ausdauer hatte, so lange durchzuhalten.«
Beitz ließ sich nicht beeindrucken. »Dann sind Helden hier aber nicht viel wert. Er hatte ja gar keine Wahl!«
Solange sie zanken, lassen sie mich wenigstens in Ruhe, dachte er und wünschte, sich am Bein kratzen zu können. Auch Hanni hatte ihm zugesetzt und eine Erklärung für seine Kündigung gefordert. Wie kam es, dass sein Pferd reiterlos heimlief? Das Problem mit den Lügen war, dass sie sich so schwer kontrollieren ließen. Da war es einfacher, den Fragen auszuweichen. Kopfschmerzen, Schwächegefühl, Schwindel dienten ihm eine Zeit lang als Ausreden, aber es konnte nicht immer so weitergehen, und zu allem Überfluss behelligte ihn die Oberschwester jetzt auch noch.
»Was muss ich da hören? Sie haben starke Kopfschmerzen?« Und wieder Lügen. Sie klebten wie Fliegen.
Fliegen. Er hätte sich nie träumen lassen, dass es so viele Fliegen gab. Sie summten selbst hier überall herum, wo Türen und Fenster mit feinem Fliegendraht gesichert waren und klebrige Fliegenfänger von der Decke hingen. Beiläufig fiel ihm auf, dass er sich wohl allmählich anpasste, wenn ihm der Begriff in der fremden Sprache so leicht in den Sinn kam. Der Fliegenfänger.
Er hatte Hunger. Er aß die wässrige Suppe und das geschmacklose Zeug, das sie hier als Kartoffelpüree bezeichneten, und schob einen Brei zur Seite, der als Sagopudding bekannt war. Er wartete auf die Rückkehr seiner Besucher. Hoffte, dass Walther es sich anders überlegt hatte.
Was sollte er tun? Sie hatten gesagt, dass Rolf morgen die Meissners mitbringen würde.
Gott! Wie konnte er ihnen in die Augen sehen? Es war noch niemandem in den Sinn gekommen, dass der Buschbrand absichtlich gelegt worden sein könnte. Sollte er es ihnen sagen? Das würde einen Aufruhr bewirken. Einen Skandal! Aber was wäre dadurch erreicht? Dixon würde es abstreiten. Er war aber dabei gewesen. Lukas Fechner. Er hat es gesehen. Und in seiner Dummheit hatte er auch noch geholfen, das trockene Gras anzuzünden. Außerdem gab es noch zwei weitere Zeugen, Sam und Pike, aber die hatten womöglich zu viel Angst, um offen zu reden. Wie auch immer, überlegte er und bedauerte die verpasste Gelegenheit, mit Walther zu reden, der ein vernünftiger Bursche war und den Mund halten konnte, wenn man ihn darum bat, wie man es auch dreht und wendet, man kommt doch immer wieder auf die gleiche Frage zurück. Was wäre damit erreicht, wenn er die Wahrheit sagte?
Es war vorbei. Der Wald war vernichtet. Das Haus der Meissners war abgebrannt. Sie besaßen nichts mehr, und nichts würde ihnen ihre Habseligkeiten, ihre Kleidung und ihre kostbaren Erinnerungsstücke an die Familie zurückbringen.
Beitz hatte ihm berichtet, dass Jakob Meissner nach Maryborough gegangen war, um Dixons Behauptung, das Holz auf Meissners Land gehöre ihm, zu entkräften, und dies nun auch beweisen könne. Jetzt verstand Lukas, was Keith Dixon im Schilde geführt hatte. Es war Rachsucht. Nichts als Rachsucht. Er hätte gern über Jakobs Sieg gejubelt, wie er es getan hätte, wenn er seinerzeit davon gehört hätte, aber es
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