Im Land der tausend Sonnen
…«
Er griff nach dem Brief und riss ihn auf.
»Oh Gott! Gelobt sei der Herr! Der Brief ist von deinem Boss, Freddy. Von meinem Boss. Dem alten Pastor. Er schreibt, um die Clovis und meine geschätzte Person in diesem neuen, gesegneten Land willkommen zu heißen, bla, bla … Er will, dass ich seine Kirchenglocke beim Zollamt abhole. Mehr nicht. Gott im Himmel! Dein Pastor Beitz hat mir vielleicht einen Schrecken eingejagt! Er schreibt, sie haben eine wunderschöne Kirche, und uns erwartet eine glückliche, fromme Gemeinde. Mich. Also machen wir uns auf den Weg. Ahoi, wie die Seeleute sagen. Wir gehen an Land.«
Die Freude darüber, das Schiff verlassen zu können, erfüllte Friedrich mit unverhoffter Sentimentalität, als er über den Anleger wankte. Trotz der grauenhaften Qualen auf See erinnerte er sich an die süßen Gelegenheiten, wenn er dank des Vaters ein wenig Zeit mit der schönen Adele hatte verbringen können. Sie war im Verlauf der Wochen aufgeblüht. Ihr blondes Haar war gewachsen, die seidigen Locken hatten oft im Wind geweht, ihr Gesichtsausdruck war sonniger geworden, und feine Sommersprossen schmückten ihre Wangen. Diese kostbaren Gelegenheiten waren entschieden zu selten gewesen und gerade deshalb umso bezaubernder.
Von den Stewards hatte er einiges über die Hoeppers erfahren, einschließlich der Tatsache, dass der alte Herr ein reicher Kaufmann war … ein bedeutender Mann … und Adele sein einziges Kind. Die restliche Familie war irgendeiner Katastrophe zum Opfer gefallen. Diese Information befähigte ihn, Adele sein Mitgefühl zu zeigen, und bei der ersten Gelegenheit …
»Mein liebes Mädchen. Ich spüre doch, dass etwas Tragisches Sie berührt hat«, sagte er, und sie blickte ihn überrascht an.
»Das spüren Sie?«
»Aber ja. Die Augen sind die Fenster zur Seele. Sie verraten alles. Ich erkenne auch Ihre Tapferkeit, die Art, wie Sie der Welt um Ihres Vaters willen ein fröhliches Gesicht zeigen. Ich werde dafür beten, dass Ihr Kummer nicht zu einer Last wird.«
»Danke, Herr Pastor. Sie sind sehr freundlich.« Tränen traten in ihre wunderschönen blauen Augen. »Manchmal ist es schwer zu ertragen, und ich frage mich, ob ich jemals darüber hinwegkommen werde.«
»Sie werden es verwinden, Fräulein Hoepper. Sie schaffen es. Und wenn Sie die Last des Kreuzes, das Sie tragen, erleichtern möchten, können Sie jederzeit mit mir reden.«
Damit war der Grundstein für ihre seltenen und kostbaren Gespräche gelegt, die ihnen ermöglicht wurden, als Hoepper darauf bestand, dass der lutherische Pastor gelegentlich zur ersten Klasse zugelassen wurde, um für die Passagiere auf dem Oberdeck seelsorgerisch tätig zu werden. Nach dem Gottesdienst luden sie ihn stets zu Kaffee und Kuchen ein, jedoch nie zum Abendbrot, und vermutlich erwarteten sie auch noch, dass er ihnen dankbar war. Wäre dieses liebe Mädchen nicht gewesen, hätten sie sich ihre eigenen Gottesdienste erfunden. Genauso, wie er es tat.
Doch Friedrich erkannte seine Tragödie in der Situation, die er mit Romeo und Julia verglich. Adele stand hoch oben auf ihrem Balkon … in der ersten Klasse … unerreichbar, und er, der arme Romeo, war dazu verdammt, unten zu bleiben. Die von unsichtbaren Mächten getrennten Liebenden. Er war sicher, dass sie, wenn er Gelegenheit gehabt hätte, ihr den Hof zu machen, statt auf diesen flüchtigen Besuchen den Pastor zu spielen, seinem Charme erlegen wäre. Sie unterhielt sich gern mit ihm, und sei es auch nur über den Wert des Betens! Auf dem Schiff hatte er sich solche Szenen so oft vorgestellt, dass er sie sich jetzt nur schwer aus dem Herzen reißen konnte.
Benommen sah er sich um, als die Passagiere der unteren Klasse an Land gingen, sich in ihrer anfänglichen Bestürzung aneinander festhielten und verloren wirkten wie Strandgut, das die Flut an Land gespült hatte.
Er riss sich zusammen, ordnete seine Gedanken und ging weiter. Die Passagiere der ersten Klasse waren wohl schon früher von Bord gegangen. Und an all den anderen hatte er nicht das geringste Interesse. War vielmehr froh, sie abschütteln zu können.
Vermutlich sollte er das tun …
Friedrich hielt es für das Beste, diese verdammte Glocke abzuholen und den
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