Im Land der tausend Sonnen
der kleinen Jungfrau seine Liebe.
»Ich habe sie nicht einmal mit dem kleinen Finger angefasst«, berichtete er Friedrich. »Nicht einmal gestreift habe ich sie. Ich habe nur über alltägliche Nichtigkeiten mit ihr geplaudert, mit leiser, intimer Stimmlage. Ich habe sie mit der Zartheit meiner Aufmerksamkeiten quasi verschlungen, und einmal ist es mir gelungen, ihr so tief in die Augen zu blicken, dass sie fast in Ohnmacht gesunken wäre. Ich auch. Ihre Lippen sogen mich praktisch an, aber ich weiß, dass ich sie behutsam umwerben muss, die Kleine. Und Gott sei gedankt für deinen weiten Rock, Freddy, denn ohne ihn hätte ich meine Erregung kaum verbergen können. Aber davon verstehst du wohl nichts.«
Er lachte, während er sich auskleidete. »Oder doch? Möchte wetten, du und deine Mitheiligen, ihr wisst genau Bescheid!«
Während der Küstendampfer nach Norden pflügte, wurde der Regen heftiger, und Friedrich zog sich in seine Kabine zurück, statt seinen Gefährten Gelegenheit zu weiteren Plaudereien zu geben. Belanglose Gespräche führten zu Fragen nach Familie, nach Heim und Herd, nach Anknüpfungspunkten – all das, was er vermeiden musste. Er hatte eine gewisse Meisterschaft darin entwickelt, sich Menschen vom Leibe zu halten, ohne sie zu kränken, doch ihm entging kaum eine Einzelheit, die seine Gesprächspartner von sich gaben. Das war wohl der Lohn dafür, dass er gezwungen war, zuzuhören, statt zu reden.
Doch als er jetzt auf die dunstige See hinausblickte, wurde ihm klar, dass es an der Zeit war, seine Rolle als Seelsorger inmitten einer Herde gottesfürchtiger Schwachköpfe ernst zu nehmen. Er hatte seine Antrittsrede vorbereitet, ein Meisterstück aus liebevoller Begrüßung, Gotteslob, Demut und Schmeichelei. Ganz gleich, wie sie aussahen oder was sie getan hatten, er würde ihren Glauben, ihr Durchhaltevermögen und ihre harte Arbeit loben … ihr strahlendes Beispiel … was auch immer. Die Menschen hörten gern nette Dinge über sich selbst, was ihnen in Predigten selten geboten wurde. Nein, nie. Seine Predigten würden sie lieben.
Nach ein paar Tagen auf See schaukelte die Tara durch eine Bucht, nahm einen Lotsen an Bord und fuhr unter starken Regengüssen in die Mündung eines breiten Flusses ein. Der Regen wurde immer heftiger, und es gab nichts zu sehen, nichts zu tun, außer in der Kabine zu lungern und ein paar Damenjournale zu durchblättern, die er im Salon gefunden hatte. Zusammen mit einer schönen Messinglampe, die jetzt tief unten in seinem Koffer ruhte.
Als das Nebelhorn dann endlich ihre Annäherung an die Zivilisation verkündete, setzte Friedrich seinen Hut auf, legte den Mantel an und begab sich an Deck, so aufgeregt, als stünde ihm eine Premiere bevor.
Sie fuhren in den Hafen ein, wo schattenhafte Gestalten zur Begrüßung im Regen kauerten und Arbeiter mit Tauen und Gangways durch die Pfützen wateten, und dann nahm alles wie gewohnt seinen Lauf. Wieder einmal, als erwartete den Ersten an Land ein großer Preis, dachte Friedrich und ließ sich Zeit, wie es sich für einen vornehmen Herrn und Geistlichen gehörte. Er ergriff hilfreich den Arm einer alten Dame mit Schirm, drehte sich kurz um und sah die Hoeppers, die sich vorübergehend von ihm verabschiedeten.
»Ein Steward bringt uns zum Hotel, Herr Vikar«, sagte Herr Hoepper. »Ins Royal, glaube ich. Wir sehen uns bestimmt bald wieder. Der Start ins neue Leben fällt allerdings reichlich feucht aus«, fügte er noch hinzu, während sie schon unter ihren Schirmen davoneilten.
Friedrich sah keinen Sinn darin, auf sein Gepäck zu warten, und ließ es ins Pfarrhaus von St. Johannis schicken. Er eilte einen steilen Weg hinauf auf der Suche nach einer Pferdedroschke, wurde jedoch von einem jungen Mann aufgehalten.
»Entschuldigen Sie«, sagte dieser aufgeregt, »sind Sie Vikar Ritter?«
»Ja.«
»Oh! Tut mir Leid, Herr Vikar. Sie hätten uns Nachricht von Ihrer Ankunft geben sollen.«
Er erläuterte dem Ankömmling allerdings nicht, wie er das hätte bewerkstelligen können. Später allerdings erfuhr er, dass ein Telegramm möglich gewesen wäre.
»Aber das ist jetzt unwichtig. Ich bin Hans Lutze, und dort … das ist mein Bruder Max. Wir arbeiten hier, und es war ein Glücksfall, dass ich
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