Im Land der tausend Sonnen
schwindlig, doch dann bemerkte sie, dass Fräulein Hoepper hysterisch weinte und sich an sie klammerte, als würde sie von Dämonen gejagt. Und vielleicht ist es tatsächlich so, dachte Hanni, und in ihr wuchs ein Verdacht, während sie Vikar Ritter böse ansah.
Er zog den Hut, verneigte sich leicht und eilte davon.
Zwei Frauen, die das Hotel verließen, blieben stehen und starrten sie an, und Hanni packte die Staffelei und die Zeichenutensilien, die Fräulein Hoepper trug, drehte das schluchzende Mädchen um und führte es die Gasse hinunter zum Kücheneingang.
Dort war Eva. »Lieber Himmel! Was ist los? Fräulein Hoepper, was ist mit Ihnen? Kommen Sie, setzen Sie sich. Hanni, hol das Riechsalz.«
Sie hielten ihr das Salz unter die Nase, doch sie musste husten, schob die Frauen von sich und schluchzte unkontrollierbar.
»Soll ich Ihren Vater holen?«, fragte Eva, doch Adele schrie: »Nein, nein! Es geht schon wieder.«
»Was ist passiert?«, fragte Hanni. »Was war mit Vikar Ritter?«
»Nichts.« Adele weinte. »Überhaupt nichts.«
»So hat es aber nicht ausgesehen«, sagte Hanni zu Eva. »Er hatte den Arm um sie gelegt, hat mit ihr geschmust …«
»Vikar Ritter? Ausgeschlossen!«
»Es war aber so, glaub mir. Ich dachte zuerst, sie küssen sich.«
»Auf offener Straße? Mein Gott!«
»So war es nicht!«, weinte Adele. »Ich habe versucht, mich von ihm zu befreien.«
»Wie?« Eva war entsetzt.
Unter Schluchzen und Weinen versuchte Adele zu erklären. »Ich war drüben am Fluss und habe gezeichnet, als er kam und mich belästigte. Ich wollte höflich bleiben, hoffte, er würde wieder gehen, doch dann sagte er mir alle möglichen Schmeicheleien …«
»Nun, freilich. Das ist seine Art. Sie haben den armen Mann sicher missverstanden.«
»Nein, hat sie nicht«, sagte Hanni mit rauer Stimme. »Ich hätte wissen müssen, dass er auch nicht besser ist als alle anderen.«
»Ich habe es nicht missverstanden, wie er mich angefasst hat, Frau Zimmermann, ganz sicher nicht. Er hat die Hand auf meine Brust gelegt, und da habe ich meine Sachen zusammengepackt. Ich habe ihm gesagt, er solle gehen, und er hat sich ganz scheußlich benommen. Auf dem ganzen Weg zurück zum Hotel hat er schreckliche Dinge zu mir gesagt, und direkt vor dem Eingang …«, Adele schluchzte, »… war er widerwärtig.« Sie legte die Hand ans Ohr und schüttelte den Kopf. »Da hat er mich wieder missbraucht.«
Eva war verwirrt. »Ganz bestimmt nicht. Es muss eine andere Erklärung geben.«
»Oh nein«, sagte Hanni. »Er ist ein Schwein. Alle Männer sind Schweine. Besonders die, die sich hinter der Maske der Ehrbarkeit verstecken. Sie sind Schweine.«
Adele blickte zu ihr auf, vielleicht sogar ein bisschen getröstet, während Hanni weiter wütete: »Sie haben Glück, dass er Ihnen nichts Schlimmeres angetan hat, Fräulein Hoepper. Wer weiß, was passiert wäre, wenn er Sie an einem abgelegeneren Ort gefunden hätte. Ich weiß, wie diese Kerle sind, glauben Sie mir. Dieser Keith Dixon zum Beispiel, der ist einer von der schlimmsten Sorte.«
»Das reicht jetzt, Hanni«, warnte Eva. »Beunruhige Fräulein Hoepper nicht noch mehr. Was weißt du schon von diesen Dingen, du liebe Zeit …«
»Das fragst du mich? Keith Dixon hat mich geschlagen und schrecklich missbraucht …« Ihr wurde bewusst, was sie da sagte, und sie unterbrach sich abrupt. »Ich koche Fräulein Hoepper einen Kaffee.« Sie ging hastig zum Herd, doch Eva drehte sie zu sich um.
»Was sagst du da?«
»Nichts.«
»Oh doch. Du hast noch nie darüber geredet. Was hat Keith Dixon mit dir gemacht?«
»Nichts, ich sagte es doch schon!«
»Ich verstehe. Dann richte bitte ein Tablett für Fräulein Hoepper. Koch ihr einen Kaffee, und in der Speisekammer ist noch Teekuchen. Ich habe ihn erst heute Morgen gebacken.«
Die beiden Mädchen waren jetzt sehr still, und Eva wandte sich wieder der Würzmischung für die beiden Hähnchen zu, die sie gerade gerupft hatte.
»Können Sie kochen?«, fragte sie Adele.
»Nein, Frau Zimmermann,
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