Im Land der tausend Sonnen
»Ich bin ganz sicher. Der arme Junge.«
»Der arme Junge! Diese Memme! Was für ein Politiker soll wohl aus ihm werden, wenn er jedes Mal Dünnschiss kriegt, sobald er eine Ansprache halten muss? Ich wusste doch, dass es nicht gut geht. Sag ihm, wenn er nicht in zwei Minuten hier auftritt, dann gehe ich.«
Der Kutscher des Notfallwagens hatte es eilig, seinen Patienten, der an Cholera erkrankt war, loszuwerden.
Der Dampfer Fayette hatte am Nachmittag in aller Stille angelegt, um einen Passagier an Land zu bringen, wenngleich der Kapitän behauptete, er wolle Proviant aufnehmen. Niemand sonst durfte das Schiff verlassen, das von Cooktown hoch oben im Norden auf dem Weg nach Brisbane war. Es transportierte Goldgräber von den Feldern im Norden, Siegertypen, die in der ersten Klasse das Leben genossen, und Verlierer, die enttäuscht das Zwischendeck bevölkerten. Dieser Kerl war vom Zwischendeck raufgebracht worden, und der Kapitän hatte die Hafenbeamten über den Mann, dessen Namen er nicht kannte und der an einer ansteckenden Krankheit litt, in Kenntnis gesetzt. Jules Stenning hatte versucht, das Anlegen zu verhindern, mit der Begründung, dass Bundaberg keine Quarantänestation besitze, doch der Kapitän wusste um seine Rechte. Er durfte Leib und Leben der übrigen Passagiere und seiner Mannschaft nicht gefährden.
Sie diskutierten eine Weile, bis ein Offizier Papiere vorlegte, die bewiesen, dass der besagte Passagier sowieso Bundaberg als Zielhafen angestrebt hatte. Dieser bärtige Buschläufer mit dem komischen Akzent, der wie viele andere seiner Art ein Einzelgänger war, obendrein noch ein äußerst mürrischer, hatte sich auf der Reise an der Küste entlang zurückgezogen und die meiste Zeit auf seiner Pritsche verbracht, so dass es eine ganze Weile gedauert hatte, bis jemand bemerkte, dass er krank war.
Stenning ließ Dr. Strauss kommen, damit er sich mit dem Schiffsarzt besprach, in der Hoffnung, die Diagnose könnte falsch sein. Strauss löste das Problem, indem er vorschlug, mit dem Abtransport des Patienten bis zum Einbruch der Dunkelheit zu warten, wenn die neugierigen Arbeiter und Besucher des Hafens nach Hause gegangen waren.
»Ich schlage vor, Sie erklären Ihren Passagieren, der Patient litte an einer Lebererkrankung, wie sie auf den Goldfeldern häufig vorkommt«, riet Dr. Strauss.
»Genau das habe ich getan«, antwortete der Schiffsarzt.
Sie hatten den Burschen, der kaum bei Bewusstsein war, in einem winzigen Lagerraum untergebracht, und Dr. Strauss beschloss, ihn sich einmal näher anzusehen. Er griff nach dem Handgelenk des Mannes, um noch einmal seinen Puls zu fühlen, doch der Patient zog den Arm weg, wie auch schon vorher. In der Faust hielt er etwas fest umklammert.
»Was ist das?«, fragte Strauss den Schiffsarzt.
»Nur ein Stein.«
»Ist er etwas wert?« Es war ein kantiger blauer Stein, leuchtend blau, und er passte genau in die Hand des Burschen.
»Nein. Keinen Pfifferling. Wahrscheinlich ein Andenken oder so.«
»Oh. Na denn. Ich lasse den Rettungswagen um sechs Uhr heute Abend kommen. Dann übernehmen wir den Mann.«
»Ich hoffe, er wird gesund. Hier wird es ihm viel besser gehen.«
»Wir tun unser Bestes.«
Dr. Strauss hatte an diesem Abend viel zu tun. Später wurde er noch zu den Kleinschmidts gerufen, denn Rolf, der Geschäftsführer der Sägemühle, war erkrankt.
Er lag im Bett und litt große Schmerzen.
»Hatten Sie das früher schon einmal?«, fragte Strauss.
»Ja. Das sind nur die Nerven. Dieses Mal ist es allerdings ein bisschen schlimmer.«
»Können Sie ihm etwas geben?«, fragte Frau Kleinschmidt nervös.
»Wir werden sehen.«
Schließlich verschrieb er Rolf Laudanum und ging hinaus, um mit seiner Frau zu reden.
»Das sind nicht die Nerven«, sagte er. »Sieht eher nach einer Blinddarmentzündung aus. Wahrscheinlich leidet er schon lange Zeit an Blinddarmreizungen. Er kann sich glücklich schätzen, dass er bisher noch keine größeren Probleme hatte. Ich schicke den Krankenwagen.«
»Warum? Was wollen Sie tun?«
»Wir müssen operieren, Frau
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