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Im Land Der Weissen Wolke

Im Land Der Weissen Wolke

Titel: Im Land Der Weissen Wolke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lark
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als er auf den Platz neben seinem lustlos wirkenden Pflichtverteidiger geführt wurde. Vor allem sah er endlich auf, nachdem er Platz genommen hatte.
    Gwyneira fragte sich seit Tagen, was sie empfinden würde, wenn sie James erneut nahe kam. Ob sie ihn überhaupt erkennen und wieder das in ihm sehen könnte, was sie damals ... ja, was? Beeindruckt hatte? Verzaubert hatte? Was immer es gewesen war, es lag zwölf Jahre zurück. Vielleicht war ihre Aufregung überflüssig. Vielleicht würde er nur noch ein Fremder für sie sein, den sie auf der Straße nicht einmal erkannt hätte.
    Doch schon der erste Blick auf den großen Mann auf der Anklagebank belehrte sie eines Besseren. James McKenzie hatte sich kaum verändert. Zumindest nicht für Gwyneira. Nach den Zeichnungen in den Zeitungen, die von seiner Verhaftung berichteten, hatte sie mit einem wilden, bärtigen Gesellen gerechnet, doch jetzt war McKenzie glatt rasiert und trug saubere, schlichte Kleidung. Nach wie vor war er schlank und sehnig, doch das Muskelspiel unter seinem schon etwas abgetragenen weißen Hemd verriet seine Kraft. Sein Gesicht war braun gebrannt – außer an den Stellen, die zuvor der Bart verdeckt hatte. Seine Lippen wirkten schmal – ein Zeichen, dass er sich Sorgen machte. Gwyneira hatte diesen Ausdruck oft an ihm gesehen. Und dann seine Augen ... Nichts, gar nichts hatte sich an ihrem verwegenen, wachen Ausdruck geändert. Natürlich stand jetzt kein spöttisches Lachen darin, sondern Anspannung und vielleicht so etwas wie Angst, doch die Fältchen von früher waren noch da, wenn auch tiefer eingegraben, so wie James’ ganzer Ausdruck härter, reifer und viel ernster geworden war. Gwyneira hätte ihn auf den ersten Blick erkannt. Oh ja, sie hätte ihn unter allen Männern auf der Südinsel, wenn nicht der ganzen Welt erkannt.
    »James McKenzie!«
    »Euer Ehren?«
    Gwyneira hätte auch seine Stimme wiedererkannt. Diese dunkle, warme Stimme, die so zärtlich sein konnte, aber auch fest und sicher, wenn er seinen Männern oder den Hütehunden Befehle zurief.
    »Mr. McKenzie, man wirft Ihnen vor, sowohl in den Canterbury Plains als auch im Gebiet um Otago Viehdiebstähle großen Ausmaßes verübt zu haben. Bekennen Sie sich schuldig?«
    McKenzie zuckte die Schultern. »In der Gegend wird viel gestohlen. Ich wüsste nicht, was mich das angeht ...«
    Der Richter sog scharf die Luft ein. »Es gibt Aussagen ehrenwerter Männer, dass man Sie mit einer Herde gestohlener Schafe oberhalb des Lake Wanaka angetroffen habe. Geben Sie wenigstens das zu?«
    James McKenzie wiederholte die Bewegung von eben. »Gibt viele McKenzies. Gibt viele Schafe!«
    Gwyneira musste fast lachen, machte sich dann aber eher Sorgen. Dies war wohl die sicherste Methode, den Ehrenwerten Sir Justice Stephen zur Weißglut zu treiben. Dabei war es völlig sinnlos zu leugnen. McKenzies Gesicht zeigte noch Spuren der Schlägerei mit Sideblossom – und auch Sideblossom musste übel zugerichtet gewesen sein. Gwyn empfand eine gewisse Genugtuung, dass sein Auge noch deutlich stärker blutunterlaufen war als das von James.
    »Kann irgendjemand im Saal bezeugen, dass es sich hier um den Viehdieb McKenzie und nicht zufällig um jemand anderen dieses Namens handelt?«, fragte der Richter seufzend.
    Sideblossom stand auf. »Ich kann es bezeugen. Und wir haben auch einen Beweis hier, der wohl jeden Zweifel ausräumen dürfte.« Er wandte sich zum Eingang des Saales, wo er einen Helfer aufgestellt hatte. »Lass den Hund frei!«
    »Friday!« Ein kleiner schwarzer Schatten flog wie der Wind durch den Gerichtssaal, direkt auf James McKenzie zu. Der schien dabei sofort zu vergessen, welche Rolle er vor diesem Gericht zu spielen gedacht hatte. Er beugte sich herab, fing die Hündin auf und streichelte sie. »Friday!«
    Der Richter verdrehte die Augen. »Das hätten wir weniger dramatisch haben können, aber sei’s drum. Nehmen Sie zu Protokoll, dass der Mann mit dem Hütehund konfrontiert wurde, der die gestohlene Schafherde zusammenhielt, und das Tier als das seine anerkannte. Mr. McKenzie, Sie wollen mir jetzt doch wohl nicht erzählen, der Hund habe auch einen Doppelgänger.«
    James lächelte sein altes Lächeln. »Nein«, sagte er. »Der Hund ist einmalig!« Friday hechelte und leckte James’ Hände. »Euer Ehren, wir ... wir können diese Verhandlung kurz halten. Ich will alles sagen und alles gestehen, sofern Sie mir zusichern, dass Friday bei mir bleiben kann. Auch im Gefängnis. Sehen

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