Im Land Der Weissen Wolke
Teegesellschaft zur anderen gereicht werde, wie in Cardiff! Sie haben gesagt, es wäre ein neues Land, Mr. Warden! Teilweise unerschlossen! Da brauche ich doch keine Seidenkleider!«
Gerald Warden lächelte beiden Kontrahentinnen zu. »Miss Gwyneira, Sie werden auf Kiward Station den gleichen gesellschaftlichen Rahmen vorfinden wie hier, machen Sie sich keine Sorgen«, begann er, obwohl er natürlich wusste, dass es eher Lady Silkham war, die sich Gedanken darüber machte. »Allerdings sind die Entfernungen viel größer. Unser nächster Nachbar, mit dem wir gesellschaftlichen Verkehr pflegen, wohnt vierzig Meilen weit weg. Da besucht man sich nicht zum Nachmittagstee. Außerdem steckt der Straßenbau noch in den Kinderschuhen. Deshalb ziehen wir es vor, zum Besuch unserer Nachbarn zu reiten, statt eine Kutsche zu nehmen. Das heißt allerdings nicht, dass es bei unseren gesellschaftlichen Kontakten weniger zivilisiert zugeht. Sie müssen sich nur eher auf mehrtägige Besuche einrichten, denn Stippvisiten lohnen nicht, und selbstverständlich brauchen Sie auch dazu die angemessene Garderobe.
Ich habe übrigens unsere Schiffspassage gebucht. Wir reisen am 18. Juli mit der Dublin von London nach Christchurch. Einen Teil der Laderäume wird man für die Tiere vorbereiten. Möchten Sie heute Nachmittag mitreiten und sich den Hengst ansehen, Miss Gwyneira? Ich glaube, Sie sind in den letzten Tagen kaum aus dem Ankleidezimmer herausgekommen.«
Madame Fabian, Gwyneiras französische Gouvernante, machte sich vor allem Sorgen um den kulturellen Notstand in den Kolonien. Sie bedauerte in allen verfügbaren Sprachen, dass Gwyneira ihre musikalische Ausbildung nicht würde fortführen können, obwohl das Klavierspiel doch die einzige gesellschaftlich anerkannte Tätigkeit war, für die das Mädchen zumindest einen Hauch Talent zeigte. Aber auch hier konnte Gerald die Wogen glätten: Natürlich stand ein Piano in seinem Haus; seine verstorbene Frau hatte exzellent gespielt und auch ihren Sohn in der Kunst unterrichtet. Angeblich war Lucas ein hervorragender Pianist.
Erstaunlicherweise war es auch sonst vor allem Madame Fabian, die dem Neuseeländer weitere Informationen über Gwyneiras künftigen Gatten entlockte. Die kunstbeflissene Lehrerin stellte einfach die richtigen Fragen – wann immer es um Konzerte und Bücher, Theater und Galerien in Christchurch ging, fiel Lucas’ Name. Wie es aussah, war Gwyneiras Verlobter überaus kultiviert und künstlerisch begabt. Er malte, musizierte und unterhielt eine ausführliche Korrespondenz mit britischen Wissenschaftlern, wobei es vor allem um die weitere Erforschung der außergewöhnlichen Tierwelt Neuseelands ging. Dieses Interesse hoffte Gwyneira teilen zu können, während ihr die sonstige Beschreibung von Lucas’ Neigungen fast schon etwas unheimlich war. Vom Erben einer Schaffarm in Übersee erwartete sie eigentlich weniger schöngeistige Aktivitäten. Die Cowboys der Groschenhefte hätten garantiert nie ein Klavier angerührt. Aber vielleicht übertrieb Gerald Warden ja auch hier. Bestimmt versuchte der SchafBaron, seinen Hof und seine Familie im besten Licht darzustellen. Die Wirklichkeit würde rauer und aufregender sein! Gwyneira jedenfalls vergaß ihre Noten, als es endlich Zeit wurde, ihre Aussteuer in Koffer und Kisten zu packen.
Mrs. Greenwood reagierte erstaunlich gelassen auf Helens Kündigung. Doch George sollte nach den Ferien ohnehin ein College besuchen, benötigte also keine Hauslehrerin mehr, und William ...
»Was William angeht, werde ich mich vielleicht nach einer etwas nachsichtigeren Kraft umsehen«, überlegte Mrs. Greenwood. »Er ist ja noch sehr kindlich, darauf muss man Rücksicht nehmen!«
Helen nahm sich zusammen und stimmte ihr geflissentlich zu, während sie schon an ihre neuen kleinen Zöglinge an Bord der Dublin dachte. Mrs. Greenwood hatte ihr großzügig gestattet, den sonntäglichen Ausgang zur Messe auszudehnen und die Mädchen in der Sonntagsschule kennen zu lernen. Wie erwartet waren sie zart, unterernährt und eingeschüchtert. Alle trugen saubere, aber mehrfach geflickte graue Kittelkleider, doch selbst bei der Ältesten, Dorothy, zeichneten sich darunter noch keinerlei weibliche Formen ab. Das Mädchen war gerade dreizehn geworden und hatte zehn Jahre ihres kurzen Lebens mit ihrer Mutter im Armenhaus verbracht. Ganz zu Anfang war Dorothys Mutter noch irgendwo angestellt gewesen, aber daran konnte das Mädchen sich nicht mehr
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