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Im Land Der Weissen Wolke

Im Land Der Weissen Wolke

Titel: Im Land Der Weissen Wolke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lark
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Tadel:
    »Was ist das für ein Benehmen, Dorothy! Du wirst dich sofort entschuldigen!«
    Dorothy schüttelte heftig den Kopf. Sie wollte lieber sterben als mit diesem Mann zu gehen; sie konnte die Bilder nicht in Worte fassen, die beim Anblick seiner gierigen Augen in ihrem Kopf aufblitzten. Bilder vom Armenhaus, von ihrer Mutter in den Armen eines Mannes, den sie »Onkel« nennen sollte. Sie erinnerte sich verschwommen an seine sehnigen, harten Hände, die eines Tages auch nach ihr griffen, sich unter ihr Kleid schoben ... Dorothy hatte daraufhin geweint und sich wehren wollen. Aber der Mann hatte weitergemacht, hatte sie gestreichelt und sich in Bereiche ihres Körpers vorgetastet, die unaussprechlich waren und die man nicht einmal beim Waschen ganz enthüllte. Dorothy meinte, vor Scham vergehen zu müssen – aber dann war ihre Mutter doch noch gekommen, kurz bevor der Schmerz und die Angst unerträglich wurden. Sie hatte den Mann weggestoßen und ihre Tochter geschützt. Später hielt sie Dorothy in den Armen, wiegte, tröstete und warnte sie.
    »Du darfst das niemals zulassen, Dottie! Lass dich nicht anfassen, egal, was man dir dafür verspricht! Lass nicht einmal zu, dass sie dich so ansehen! Das eben war meine Schuld. Ich hätte erkennen müssen, wie er dich anstarrt. Bleib niemals allein mit den Männern hier, Dottie! Nie! Versprichst du’s mir?«
    Dorothy hatte es versprochen und sich daran gehalten, bis ihre Mutter kurz darauf gestorben war. Danach hatte man sie ins Waisenhaus gebracht, wo sie sicher war. Aber jetzt starrte dieser Mann hier sie an. Noch lüsterner als damals der Onkel. Und sie konnte nicht Nein sagen. Sie durfte nicht, sie gehörte ihm, der Reverend selbst würde sie züchtigen, wenn sie sich wehrte. Gleich würde sie mit diesem Morrison mitgehen müssen. In seinen Wagen, sein Haus ...
    Dorothy schluchzte. »Nein! Nein, ich gehe nicht mit. Miss Helen! Bitte, Miss Helen, Sie müssen mir helfen! Schicken Sie mich nicht mit ihm. Mrs. Baldwin, bitte ... bitte!«
    Das Mädchen lehnte sich schutzsuchend an Helen und floh weiter zu Mrs. Baldwin, als Morrison sich ihr lachend näherte.
    »Was hat sie denn nur?«, fragte er scheinbar verwundert, als die Frau des Pastors Dorothy rüde abwehrte. »Kann es sein, dass sie krank ist? Wir werden sie gleich zu Bett bringen ...«
    Dorothy schaute mit fast irrem Blick in die Runde.
    »Er ist der Teufel! Sieht das denn keiner? Miss Gwyn, bitte, Miss Gwyn! Nehmen Sie mich mit! Sie brauchen doch eine Zofe. Bitte, ich will auch alles tun! Ich will kein Geld, ich ...«
    In ihrer Verzweiflung fiel das Mädchen vor Gwyneira auf die Knie.
    »Dorothy, beruhige dich!«, sagte Gwyn unsicher. »Ich will Mr. Warden ja gern fragen ...«
    Morrison schien verärgert. »Können wir das jetzt abkürzen?«, fragte er schroff, wobei er Helen und Gwyneira gänzlich ignorierte und sich nur an Mrs. Baldwin wandte. »Das Mädchen ist ja völlig von Sinnen! Aber meine Frau braucht eine Hilfe, also nehme ich sie trotzdem. Kommen Sie mir jetzt nicht mit einer anderen! Ich bin extra aus den Plains hergeritten ...«
    »Sie sind hergeritten?«, fragte Helen. »Wie wollen Sie das Mädchen dann mitnehmen?«
    »Hinter mir auf dem Pferd natürlich. Wird ihr Spaß machen. Musst dich nur gut festhalten, Kleine ...«
    »Ich ... ich mache das nicht«, stammelte Dorothy. »Bitte, bitte, verlangen Sie das nicht von mir!« Sie lag jetzt auch vor Mrs. Baldwin auf den Knien, während Helen und Gwyn entsetzt zusahen und Mr. und Mrs. Candler geradezu abgestoßen wirkten.
    »Das ist ja furchtbar!«, sagte Mr. Candler schließlich. »Nun sagen Sie doch etwas, Mrs. Baldwin! Wenn das Mädchen partout nicht will, müssen Sie ihm eine andere Stellung suchen. Es kann gern mit uns kommen. In Haldon brauchen bestimmt zwei oder drei Familien eine Hilfe.«
    Seine Frau nickte eifrig.
    Mr. Morrison sog scharf die Luft ein. »Sie werden den Launen der Kleinen doch nicht etwa nachgeben?«, fragte er Mrs. Baldwin mit ungläubigem Gesichtsausdruck.
    Dorothy wimmerte.
    Daphne hatte die Szene bisher mit fast unbeteiligter Miene verfolgt. Sie wusste genau, was Dorothy bevorstand, denn sie hatte lange genug auf der Straße gelebt – und überlebt –, um Morrisons Blick genauer deuten zu können als Helen und Gwyn. Männer wie er konnten sich in London kein Dienstmädchen leisten. Aber dafür fanden sich genug Kinder am Themseufer, die für ein Stück Brot alles taten. So wie Daphne. Sie wusste genau, wie man die Angst,

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