Im Land des Eukalyptusbaums Roman
fragte er.
»Niemanden, der mir nahesteht.« Nola war froh über die Ablenkung.
»Sind Ihre Eltern beide verstorben?«
»Ja, mein Vater starb vor etwa fünf Jahren, und meine Mutter kurz danach. Sie waren beide nicht mehr ganz gesund, und man hatte ihnen geraten, in ein wärmeres Klima überzusiedeln, aber sie wollten England nicht verlassen.« Versunken betrachtete sie den Horizont, der in schwelendem Dunst flimmerte. »Daß sie diese Hitze überlebt hätten, ist schwer vorstellbar.«
Hank folgte ihrem Blick. »Viele können’s nicht«, gab er zurück. »Waren Sie ein Einzelkind?«
»Nein. Ich hatte zwei ältere Brüder.«
Plötzlich lachte Hank.
»Was ist denn daran so amüsant?« erkundigte sich Nola argwöhnisch.
»Tut mir leid. Daß Sie nur Brüder hatten, erklärt, warum sie so ... anders sind!«
Sie tat, als hätte sie keine Ahnung, wovon er sprach. »Das erklären Sie mir aber bitte genauer.«
»Pardon. Ich wollte Sie nicht beleidigen. Es ist nur ... Ich glaube, Sie waren ein Wildfang unter Ihren Brüdern. Nicht, daß ich meine, Sie wären nicht weiblich genug ... das sind Sie schon. Bloß weil Sie, wie soll ich sagen, so außergewöhnlich sind. Einzigartig!«
Da war es wieder, das Wort. Nola kniff die Augen zusammen, und Hank errötete. Plötzlich befürchtete er, sie tief gekränkt zu haben.
»Schweigen Sie lieber, bevor Sie sich ihr eigenes Grab schaufeln, Hank. Ich weiß schon, worauf Siehinauswollen.« Eine Zeitlang schwieg Nola, und Hank dachte schon, sie wäre beleidigt.
»Übrigens würden Sie überrascht sein«, fuhr sie schließlich fort, »wenn Sie erfahren, daß ich kein ›Wildfang‹ war, wie Sie sich ausdrücken. Schon deshalb, weil man mir alles verboten hat, was meine Brüder durften. Nicht, daß ich es nicht trotzdem versucht hätte – oft genug habe ich deshalb den Zorn meines Vaters auf mich gezogen.« Nola lachte trocken. »Komisch war bloß, daß meine Brüder äußerlich eher meiner Mutter glichen: klein und zart gebaut. Außerdem kränkelten sie ständig. Meine Eltern waren furchtbar besorgt ihretwegen, vor allem mein Vater. Ich war im Sport ein Naturtalent, während sich meine Brüder nur ungern bewegten. Sobald ich alt genug war, wurde ich in ein reines Mädcheninternat gebracht, wo man eine ›Dame‹ aus mir machen wollte. Als ich zurückkehrte, waren meine Brüder nach Amerika ausgewandert. Sicher waren sie es leid, ständig mit mir verglichen zu werden. Henry ist heute, glaube ich, Zahnarzt in Iowa, William hat einen Modesalon in New York. Wir schreiben uns schon seit Jahren nicht mehr.«
Hank bereute, daß er vorschnelle Schlüsse gezogen hatte. »Eigentlich schade«, meinte er. »Meine Familie lebt in Melbourne. Meine Mutter schreibt mir oft. Ich höre gern Neuigkeiten über meine Brüder und Schwestern. Haben Sie sich mit Ihrer Mutter besser verstanden?«
Nola seufzte. »Sie war eine schwierige, wenig umgängliche Frau. Ich glaube, sie verabscheute meine Größe und meine Unabhängigkeit. Aber einmal, als ich in den Ferien nach Hause kam, hat sie zu mir gesagt: ›Denk von mir, was du willst, Nola, aber ich bin stolz auf dich.Wenn jemand die Situation der Frau in der künftigen Gesellschaft ändern wird, dann du!‹ Damals habe ich gar nicht verstanden, was sie meinte; ich war erst knapp sechzehn. Aber heute weiß ich es. Ihre Worte kommen mir oft in den Sinn. Besonders, wenn mir ein Mann einreden will, ich dürfte bestimmte Dinge nicht, weil ich eine Frau bin.«
»Ihre Mutter war wohl sehr weitsichtig«, lächelte Hank. »Haben Sie je in einer Schule unterrichtet?«
Nola seufzte. »Hätte ich – wenn ich nicht vorher Gouvernante geworden wäre.«
Hank hob fragend die Brauen.
»Mein Ruf ... ›unkonventionell‹ zu sein, hat sich rasch verbreitet in der Gesellschaft, und danach hätte mich keine anerkannte Schule mehr eingestellt. Meine Ideen waren einfach zu radikal.«
»Waren sie auch zu radikal für Ihre Verehrer?«
Nola machte große Augen, und Hank beeilte sich, eine Erklärung nachzuschieben.
»Wenn Sie einen Verlobten gehabt hätten, der ein bißchen Einfluß in den besseren Kreisen hat ...«
Nola lachte gezwungen.
»Sie haben ja keine Ahnung, wie viele Skandale ich in London provoziert habe, Hank. Männer von guter Reputation gingen zu mir möglichst auf Distanz.« Sie mußte an Leith Rodwell denken, die große Ausnahme. Anfänglich hatte sie ihn für einen außergewöhnlichen Mann gehalten. Der Mann, den sie geheiratet hätte – bis sie
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