Im Land des Falkengottes. Amenophis
war.
Während unserer Fahrt fühlte ich mich – bedingt durch die Kühle des Morgens – wieder wohler, der Schmerz in meinem Kopf verflog, und einige Male lachte ich Senu herzhaft zu, als unser rasendes Gespann fast aus der Spur zu geraten drohte. Nach mehr als zwei Stunden führte unser Weg vom Fluss fort, nach Osten, in steiniges, unwegsames Gelände, durch Schluchten, so steil wie im Tal der Ewigkeit.
Ich hatte die Karten lange studiert und kannte den Weg deswegen sehr genau, obwohl ich vorher noch nie einen Fuß in diese Gegend gesetzt hatte. Da und dort standen am Wegrand verfallene Hütten, leer, ohne irgendein Zeichen von Leben, denn seit vielen Generationen wurde hier nicht mehr gearbeitet.
Je länger wir dem holprigen Pfad folgten, von einem Weg konnte jetzt schon nicht mehr die Rede sein, desto unwohler wurde mir, und ich begann, an der Richtigkeit meines Tuns zu zweifeln. Nicht einmal Amenophis wusste, wo ich mich aufhielt. Ich wurde das Gefühl nicht los, dass man uns beobachtete, und Senu ging es ebenso. Er hielt seinen Bogen in der Linken, während die Rechte schon im Köcher nach Pfeilen suchte. Gleichwohl erreichten wir unbehelligt die alten Steinbrüche. Es war eine seltsame Landschaft: Teilweise lagen halb bearbeitete, weiße Kalksteinblöcke herum, teilweise war das Gelände vom Sand zugeweht, sodass das Ausmaß des einmal bearbeiteten Steinbruches gar nicht richtig abzuschätzen war. Senu und ich stiegen umher, aber ich wusste gar nicht so genau, wonach ich suchte. Ich bückte mich, um nach einem besonders schönen Stück Sandstein zu greifen. Als ich mich wieder erhob, erschrak ich zu Tode: Ein Mann von etwa vierzig Jahren, eingehüllt in lange, schwarze Gewänder, stand vor mir und hielt sein Schwert gegen mich gerichtet. Aber das war es nicht alleine. Er war grässlich entstellt. Ihm fehlten beide Ohren, von der Nase war nur noch ein kleiner, verwachsenerStumpf vorhanden, und im Übrigen war sein Gesicht mit kleinen eitrigen Narben übersät. An einem Lederriemen, den er um seinen Hals trug, hing das goldene Amulett eines Widderkopfes, das Zeichen Amuns.
«Wer bist du?», fuhr er mich mit einer dunklen, rauen Stimme an.
Ich sagte kein Wort, sondern sah mich nach Senu um. Hinter meinem Leibwächter stand ebenfalls ein Mann mit einem schwarzen Gewand und hielt ihm ein Messer an die Kehle, bereit, beim geringsten Zeichen des anderen den tödlichen Schnitt zu tun.
«Er kann dir im Augenblick nicht behilflich sein, junger Freund», sagte mein Gegenüber und grinste mich derart widerlich und gemein an, dass ich seine wenigen braunen Zähne zu sehen bekam, und ich vor Ekel fast würgen musste. Ich hatte Angst.
«Also, nochmal. Wer bist du?»
Ich sah ihn jetzt ruhig an und wusste, dass mir und Senu ohnehin niemand mehr helfen würde. In dieser misslichen Lage, die ohnehin so hoffnungslos, so sinnentleert war, gab ich mich stolz, ja überheblich.
«Was willst du eigentlich von uns, du Stück Dreck?» Ich spuckte vor ihm auf den Boden.
Erst hielt er mir ruckartig seine Schwertspitze an die Kehle, dann sagte er: «Nein, mein junger Held, so leicht geht das nicht! Bevor ich dir den Hals abschneide, will ich schon wissen, mit wem ich es zu tun habe. Vielleicht bist du ja ein paar Deben wert!» Ich spuckte nochmals – jetzt mitten in sein Gesicht.
«Schneide dem Schwarzen die Kehle durch», grunzte mein Gegenüber mit seiner rauen Stimme, doch noch bevor der andere reagierte, brüllte ich: «Nein! Ich sage dir ja, wer ich bin!»
Der Entstellte wischte sich den Speichel aus dem Gesicht.
«Aber lass ihn erst laufen», setzte ich nach.
Es half nichts. Der Anführer, der mein Gegenüber wohl war, kam mir noch näher, und der andere setzte sein Messer erneut an die Kehle Senus.
Ich gab auf.
Meine Launenhaftigkeit, meine durch nichts begründete Bosheit hatten mich hierher geführt, und jetzt sollte all dem schlechten Treiben ein Ende gesetzt werden. Ich verspürte nicht einmal Mitleid mit mir. Ich sah meinem Mörder noch einmal in das entstellte Gesicht, dann schloss ich meine Augen, den sicheren Tod vor mir.
Es gab für mich keinen Zweifel: Die Häscher der Amunpriester hatten mich gestellt.
Ein grässliches Stöhnen und Gurgeln ließ mich die Augen wieder aufreißen. Im Hals des Entstellten steckte ein Pfeil, dessen Spitze auf der anderen Seite weit herausschaute, und Blut spritzte aus seinen Wunden. Ehe er in sich zusammensackte, ließ er das Schwert fallen und griff mit beiden Händen an
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