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Im Land des Falkengottes. Amenophis

Im Land des Falkengottes. Amenophis

Titel: Im Land des Falkengottes. Amenophis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Schramek
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Ameni, so laut, dass sich meine Stimme überschlug. Maj war auf das Grausamste geschändet, aber er lebte offenbar noch. Sie hatten ihm alle Finger abgeschlagen, die Nase und die Ohren abgeschnitten. Sein Bauch war auf der ganzen Länge geöffnet, und ein Stück Holz spreizte die Haut auseinander, dass ich die Därme sah. Sie waren an einigen Stellen aufgeritzt, es roch grauenvoll. In dieser klaffenden Wunde und auch an den anderen Wunden Majs schwirrten Tausende von Fliegen und Mücken, die wie besessen schienen, den geschändeten Körper endgültig zu töten und aufzufressen. Aber nicht genug. Selbst die oberen und unteren Augenlider hatte man ihm abgetrennt, und so starrten seine Augen, die schon längst ausgetrocknet und erblindet waren, wie matte, ungeschliffene Edelsteine ins Nichts. Ich stürzte mich auf Maj, und bevor ich mit meinem Messer die Fesseln auftrennte, nahm ich schnell das Holzstück aus der Bauchöffnung. Maj stöhnte laut auf.
    «So tötet mich doch endlich! Endlich tot», hauchte er mir mit letzter Kraft entgegen. Ich wusste, dass er mich nicht sehen konnte. Aber hörte er mich denn? Dann legte Senu eine Decke über seinen Körper, damit ihn wenigstens das Ungeziefer nicht länger quälen konnte.
    «Maj!», rief ich laut. «Ich bin es, Eje! Hörst du mich, Maj?»
    «Töten! Endlich töten», stammelte er nur. Jetzt gab ihm Senu zu trinken.
    Dann erschien Ameni, umgeben von Soldaten seiner Leibgarde. Als er neben mir stand, nahm ich die Decke ein wenig zur Seite, damit er sehen konnte, wie schlimm es um Maj stand. Maj schien begriffen zu haben, dass wir nicht seine Peiniger, sondern seine Freunde waren. Er wurde unruhig, und nachdem er nochmals getrunken hatte, begann er zu reden: «Ein Ast, ein trockener Ast in der Nähe des Lagers hat michverraten. Ich, ich konnte nicht mehr fliehen. Sie wollten alles von mir wissen. Aber ich habe ihnen nichts gesagt.»
    Seine Stimme wurde jetzt langsamer und leiser.
    «Dann haben sie mir erst die Finger, dann die Nase und die Augen   …»
    Maj brachte kein Wort mehr hervor. Nicht nur mir, auch Ameni, der jetzt neben mir kniete, standen die Tränen in den Augen. Verzweifelt sah er mich an.
    «Dein Halskragen», sagte ich. «Lass ihn deinen Halskragen berühren! Das ist das Einzige, was er erfühlen, erkennen kann.»
    Ameni beugte sich etwas über Maj, ergriff dessen rechte Hand, und ließ ihre blutverschmierte Innenseite langsam über den Halskragen gleiten, zwei, drei Mal. Plötzlich bebte Maj, er wurde unruhig und bäumte sich auf.
    «Guter Gott! Majestät! Seid Ihr es?»
    Ameni ergriff zur Bestätigung Majs Oberarm und drückte ihn. Dann ließ er den Sterbenden nochmals den Halskragen fühlen. Maj war sich jetzt sicher.
    «Verzeiht mir, Majestät», hauchte er nur noch. «Verzeiht mir!»
    Und mit letzter Kraft sagte er: «Sterben! Bitte Sterben!»
    Amenophis nahm Maj in seine Arme. Dann griff er nach seinem Dolch. Mit dem linken Arm drückte er den Sterbenden fest an sich, mit der Rechten stieß er die spitze Klinge ruckartig in Majs linke Seite, sodass er augenblicklich tot zusammensank. Eine größere Gnade konnte Ameni seinem tapferen Offizier nicht mehr gewähren. Maj war für mich ein Fremder, doch sein Sterben ging mir sehr nahe. Jeden von uns hätte dieses grausame Schicksal treffen können. Ich überlegte, wie Merit reagierte, wenn ich ein solch grausames Ende nähme.
    So starb Maj, einer der tapfersten Krieger Nimurias aus Napata. Er war gerade zwanzig Jahre alt. Seinen Leichnam ließPharao in Tücher hüllen und mitnehmen. Er sollte würdevoll und nach unseren Bräuchen beigesetzt werden. Ich beschloss, bei unserer Rückkehr seine Familie aufzusuchen.
     
    Pharao befahl, das ganze Lager durchsuchen zu lassen und alle gefangen zu nehmen, die man fand. Es waren noch etwas mehr als hundert Männer, Frauen und Kinder. Alles was von Wert war, vor allem Gold, brachten die Soldaten zum Sammelplatz, von wo alles zu unserem Lager am anderen Ende des Tales geschafft wurde. Dann gab Amenophis den Befehl, das Lager der Feinde niederzubrennen.
    Auf unserem Rückweg überquerten wir das Schlachtfeld. Unsere Soldaten kamen ihrer grausigen Pflicht nach. Sterbende Krieger Ichenis, denen nicht mehr geholfen werden konnte, erhielten den Gnadenstoß, die Verletzten wurden versorgt. Den Toten schlug man die rechte Hand ab, um sie später Pharao als Beleg für die Zahl der umgekommenen Feinde vorzulegen. Außerdem wurde den Toten all ihr Goldschmuck weggenommen.

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