Im Land des Falkengottes. Amenophis
Goldringe an Nasen und Ohren rissen die Soldaten einfach ab. Um in den Besitz der Reife an Armen und Füßen zu gelangen, schlugen sie mit den Streitäxten die Gliedmaßen ab. Die gefangenen Krieger Ichenis mussten eine Grube von sechzig Ellen Länge ausheben. Dorthin wurden die Leichen der Elenden geworfen und verscharrt.
Amenophis ließ sich in seinem Kriegszelt waschen und neu einkleiden, bevor die Gefangenen vorgeführt wurden. Unter ihnen befanden sich auch Icheni selbst sowie drei seiner Verbündeten. An Ichenis rechter Schulter klaffte eine tiefe Wunde, die ihm eine ägyptische Streitaxt zugefügt hatte, umschwirrt von unzähligen Fliegen und Mücken. Der große, muskulöse Nubier ließ sich nichts anmerken. Keine Gefühlsregung verriet die Schmerzen, die er erlitt. Sein kantiges Gesicht, verschmiert von Blut und der weißen Farbe der Kriegsbemalung,strahlte trotz der Niederlage und trotz des Wissens um einen baldigen Tod Würde, ja Überheblichkeit aus.
Das gesamte Heer nahm Aufstellung. In der Mitte die Fußtruppen, rechts und links je zwei Einheiten der Streitwagentruppe. Davor knieten in Dreierreihen die gefangenen Nubier, Krieger ebenso wie Frauen und Kinder. Vor Pharaos Zelt lag die Beute. Ein Haufen mit Waffen aller Art und ein zweiter Haufen nur aus Gold und Edelsteinen, kostbaren Fellen und Elfenbein.
Trommelwirbel und Fanfarenstöße kündigten das Erscheinen Pharaos an. Als er, gefolgt von Merimes, aus dem Zelt trat, lagen ausnahmslos alle vor ihm auf dem Boden. Da durfte auch ich keine Ausnahme machen. Nimuria trug das Nemes-Kopftuch mit dem goldenen Stirnreif, einen schweren Prunkkragen und goldene Sandalen. Er nahm auf seinem Thron Platz, rechts und links von ihm je zwei Wedelträger und zehn Soldaten der Leibgarde. Mit lauter Stimme, die durch das ganze Tal erklang, rief Merimes, der Königssohn von Kusch:
«Der Abgefallene des elenden Kusch hegte eine Rebellion im Herzen. Seine Majestät schritt voran zum Sieg, den Sie bei Ihrem ersten Feldzug errang. Seine Majestät fiel über sie her wie der Flügelschlag des Falken, wie Month in seinen Erscheinungen. Icheni, der Prahler inmitten seines Heeres, hatte den Löwen nicht gekannt, der vor ihm erschien, nämlich Nimuria, den wilden Löwen, dessen Krallen das elende Kusch packten und der alle seine Fürsten in ihren Tälern zertrat, sodass sie einer wie der andere in ihrem Blut dalagen. So tat Amenophis, Herrscher von Waset, Herr der Kraft mit dem Bogen, der den Sieg liebt, dem Leben, Dauer, Heil und Gesundheit gegeben werde wie Re ewiglich!»
Dann rief Merimes weiter:
«Erhebt euch, ihr tapferen Krieger Seiner Majestät!»
Wir alle taten, wie uns befohlen, und mit einer Stimme, solaut, wie nur die Stimme von Soldaten sein kann, schrien wir den Namen unseres Guten Gottes:
«Nimuria! Nimuria! Nimuria!»
Dann verlas Merimes die Namen der Soldaten, die sich durch besondere Tapferkeit ausgezeichnet hatten. Es waren Anführer der Fußtruppen und der Streitwagen, aber auch einfache Soldaten, zwanzig an der Zahl. Auch Senu und ich waren darunter. Wir erhielten aus der Hand Merimes die höchste Auszeichnung, die einem ägyptischen Soldaten zuteil werden konnte: die goldene Fliege, das Abbild des mutigsten und hartnäckigsten aller Tiere, das auch vor seinen mächtigsten Feinden nicht flieht.
«Du hast dem Einzigen Freund Meiner Majestät das Leben gerettet, Senu», sprach Ameni, als mein Leibdiener vor Pharao im Staube lag.
«Weil du Pharao und sein Land durch diese Tat vor großem Kummer bewahrt hast, schenke ich dir die Freiheit. Nach unserer Rückkehr wirst du Offizier in der Streitwagentruppe von Waset sein und von Meiner Majestät ein Haus und Diener erhalten.»
Dann wurde Senu eine große Gnade gewährt: Er durfte Pharaos Fuß küssen. Nach der Ehrung schlugen die Soldaten mit ihren Schwertern gegen die Schilde, laut und unaufhörlich.
Und wieder erhob Merimes seine Stimme:
«Ihr Besiegten von Kusch, Irem, Tiurek und Weresch, schwört ihr, künftig treue Untertanen Seiner Majestät zu sein, nie wieder zu rebellieren und die Waffen zu erheben wider den Sohn Amuns? Wer zu diesem Schwur bereit ist, falle vor Seiner Majestät nieder und flehe um Gnade.»
Acht Anführer der Elenden warfen sich vor Nimuria und winselten um Gnade, versprachen ihm ewige Treue und Gehorsam. Nur Icheni und zwei seiner Mitstreiter blieben verstockt.Gefesselt an Händen und Beinen wurden sie vor den Thron gezerrt. Ungerührt sah ihnen Nimuria lange in die Augen.
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