Im Land des Falkengottes. Amenophis
entscheidenden Schritte erfolgen mussten, keine Fehler durften gemacht werden. Anders als Vater sprach sie ganz offen darüber und machte aus ihrem Wunsch, eines Tages in unmittelbarer Nähe des Thrones stehen zu wollen, keinen Hehl.
«Ja, aber das ist doch eine Selbstverständlichkeit», entgegnete mein Vater etwas ratlos.
«Das mag schon sein, aber das ist noch nicht alles! Amenophis wird Teje heiraten!»
Mutter hatte endgültig ausgesprochen, worauf sie hinauswollte.
«Tuja! Jetzt überspann den Bogen nicht!», erregte sich Vater. Er erschrak über die Machtgier Mutters, und ich merkte ihm an, dass er nach Mitteln sann, um ein zu forsches Vorgehen seiner Frau zu verhindern. «Wer hoch steigt, kann auch tief fallen!»
«Nein, Juja, das heißt anders: Wer nichts versucht, wird es nie zu etwas bringen! Das ist die Gelegenheit für unsere Familie, und ich werde sie nicht ungenutzt verstreichen lassen. Wenn Mutemwia auch nur meine Halbschwester ist, das ist sie unserer Familie schuldig. Schließlich wird Amenophis als Pharao die Macht haben, sie auch nachträglich zur Großen königlichen Gemahlin ihres verstorbenen Gatten zu erheben.»
Mutter hatte das Ziel vorgegeben, und es war nun die Sache meines Vaters, mit Geschick und seiner Erfahrung, sich bei Hofe zu bewegen, die Familie ungefährdet dorthin zu bringen.
Am anderen Morgen gingen meine Eltern sehr zeitig in den Palast. Mutter blieb dort den ganzen Tag über, doch Vater kehrte mittags nach Hause zurück. Er traf mich in meinem Zimmer an, wo ich gerade an meinen Listen der Überschwemmungsflächen arbeitete. Er machte einen sehr bekümmerten und unglücklichen Eindruck.
«Dir werden nun auch einige anstrengende Tage bevorstehen, mein Sohn», begann er das Gespräch.
«Warum mir?»
«Prinz Amenophis hat darum gebeten, dass du zu ihm kommst und auch die nächsten Tage im Palast verbringst, bis – bis alles vorbei ist», bekam ich zur Antwort. «Er sagte, du sollst ab sofort den Titel ‹Einziger Freund des Prinzen› tragen, was deine offizielle Aufnahme an den Hof bedeutet. Er hat mich gebeten, dich gleich zu ihm in den Palast zu bringen.»
Ich ließ alles liegen und stehen und verließ mit meinem Vater das Haus. In einer Doppelsänfte wurden wir von acht Trägern der königlichen Garde in den Palast gebracht. Unser Weg führte durch das große Eingangstor im Süden über drei Höfe in einen vierten, der für die feierlichen Empfänge ausländischerGesandtschaften vorgesehen war. An diesen Hof schloss sich unmittelbar der Thronsaal an. Die Sänfte hielt am Fuß einer breiten Steintreppe, über deren zwölf Stufen wir durch eine schwere, vergoldete Tür in den Thronsaal gelangten. Dort hielten sich viele der höchsten Beamten auf, teilweise miteinander tuschelnd, teilweise schweigsam und in Gedanken versunken. Sie alle machten einen betroffenen Eindruck, manche von ihnen kämpften mit den Tränen, andere weinten ganz hemmungslos.
Wir gingen nahezu unbeachtet quer durch den Saal in Richtung einer gegenüberliegenden Tür. Auf dem Weg dorthin vernahmen meine Ohren einige Bemerkungen, die meinem Vater offenbar entgingen –, und das war auch besser so. Einer bezeichnete ihn als Emporkömmling, ein anderer als Wichtigtuer, ein Priester sogar als lästigen Ausländer, was er nun wirklich nicht war. Sehr schnell versuchte ich zu erkennen, von wem die Äußerungen stammten, und ich prägte mir die Gesichter der Männer gut ein. Wir durchschritten die Türe und gelangten in den Beratungssaal des Palastes. Dort standen ein Thronsessel und vor ihm ein langer Tisch, auf dem unendlich viele Schriftstücke lagen. Um den Tisch herum standen etwa zwanzig Stühle, auf einigen saßen Schreiber.
Der Wesir Ptahmose und drei oberste Priester diktierten Briefe oder reichten schriftliche Anweisungen weiter. Einigen Wortfetzen konnte ich entnehmen, dass es unter anderem um die künftige Grabausstattung des Guten Gottes ging. Ich wusste ja von Ameni, dass vieles davon schon eingelagert war. Hier wurde aufgeschrieben, welche Gegenstände, die der Gute Gott täglich benutzte, für dessen letzte Reise vorzubereiten waren. Ptahmose und die Priester blickten nur kurz auf, schenkten uns aber weiter keine Beachtung.
Wir erreichten einen weiteren Raum. Es war die Vorhalle zuden persönlichen Gemächern des Guten Gottes. Eine Vielzahl von Priestern hielt sich hier auf, alle mit kahl geschorenen Köpfen, wie es der Sitte entsprach, in schneeweiße Gewänder gehüllt, die fast
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