Im Land des Falkengottes. Echnaton
sondern vielmehr Unsicherheit und eine vielleicht ungeschickt zum Ausdruck gebrachte, doch gut gemeinte Würde. Meiner Tochter Nafteta erging es nicht viel anders. Sie blickte jedoch nicht wie ihr Gemahl über alle Anwesenden hinweg, sondern senkte eher etwas verlegen den leicht geröteten Kopf.
Die königliche Familie setzte sich, und alle Gäste nahmen nun ihre Plätze ein, nachdem sie sich zuvor erhoben hatten. Weder einer der beiden Herrscher noch irgendein anderer im Saal hatte bislang nach seinem Weinbecher gegriffen, da sprangen schon die ersten Musikanten und Tänzer herein und verteilten sich. Es waren Künstler aus Men-nefer, die zu Beginn des Festes auftraten, und sie kamen auf Geheiß des Palastvorstehers Aper-el.
Anfangs bewegten sich die Tänzerinnen langsam und vorsichtig unter verschiedenfarbigen, hauchdünnen Schleiern, und jede ihrer Bewegungen wirkte so bedächtig, dass sie mich an meinen Schüler erinnerten. Dann wurde die Musik zunehmend lauter und schneller. Immer mehr Instrumente setzten ein, die Tänzerinnen passten ihre Bewegungen der Musik an, lüfteten mehr und mehr die Schleier, warfen sie von sich, bis sie schließlich völlig nackt wie Wahnsinnige unter dem Klatschen der Gäste durch den Raum wirbelten, alle in den gleichen Bewegungen, im gleichen Rhythmus, ohne einen Fehler. Mit dem letzten lauten Takt der Musik fielen sie alle wie tot zu Boden. Es war der richtige Auftakt für das Fest, denn alle hatten jetzt zu reden, riefen einander begeistert Worte zu und tranken Wein. Die Musikanten blieben im Saal und spielten weiter, während Scharen von Dienern umherliefen, die ersten Speisen reichten und Wein nachschenkten. Meiner Tochter und ihrem Gemahl tat dieseDarbietung sichtlich gut, denn der angestrengte Ernst in ihren Gesichtern war jetzt einer ausgelassenen Heiterkeit und Hochstimmung gewichen.
Wir aßen gebratene Gänse und Enten, dazu allerlei kaltes Gemüse, und beides übergoss man mit würzigen Oliventunken, die entweder mild und leicht süßlich, oder entsetzlich scharf abgeschmeckt waren. Noch während wir aßen, verabschiedeten sich die Musikanten aus Men-nefer fast unbemerkt, und wir alle blickten erst wieder auf die freie Fläche inmitten des Saales, als dreißig Mädchen und Jünglinge aus Mykene hereinstürmten. Die Jünglinge hatten ihr langes, fein gelocktes Haar zu Zöpfen zusammengebunden, während die Haare der Mädchen am Hinterkopf mit Nadeln zu einem Knäuel zusammengesteckt waren. Die Mädchen trugen hochgeschlossene Kleider, welche nur die schlanken Arme und die langen Beine den Blicken preisgaben, denn niemals zeigten Mädchen aus Mykene öffentlich ihre Brüste, wofür sie bei unseren Männern als prüde galten. Wer aber weiß, was ihre Männer über unsere Frauen dachten?
Sie vollbrachten wahre Kunststücke. Die Jünglinge überschlugen sich zum Takt der Musik, warfen die Mädchen geradezu durch die Luft, fingen sie wieder auf, um sie sofort wieder einem anderen zufliegen zu lassen. Ihre Aufführung war so beeindruckend und atemberaubend, dass man einige Male im Saal entsetzte Aufschreie von Gästen hören konnte, was aber nur für noch mehr Aufregung und Spannung sorgte. Als sie geendet hatten, wurden sie von den Gästen mit viel Beifall und von Nimuria mit großzügigen Geschenken bedacht.
Während jetzt Musikanten und Sängerinnen aus dem Palast der leuchtenden Sonne für das junge Herrscherpaar Liebeslieder darboten, reichte man uns Fische und Muscheln, gebratenes Fleisch von Krokodilen und Schildkröten. Einige der Lieder waren bekannt, und man war geneigt, ihre Melodien leise mitzusummen oder ihre Texte im Geiste mitzusprechen.
Doch dann vernahm ich die Stimme eines jungen Mädchens.Sie erhob sich ganz allmählich über den Klang der Harfen, Tamburine und Oboen, Lauten und das metallische Rasseln der Sistren. Diese Stimme war so rein, so unschuldig, dass sie uns schließlich alle zwang, schweigend zuzuhören.
Ihr Lied war mehr ein Gebet, ein Gebet an Hathor, die Göttin der Liebe und der Liebenden, doch in Wirklichkeit besang sie Nofretete.
«Wie ist sie schön!
Die Goldene ist blühend, strahlend, ganz in Blüte!
Für Dich schlagen der Himmel und die Sterne
das Tamburin, die Sonne und der Mond preisen Dich,
die Götter rühmen Dich, die Göttinnen stimmen Hymnen an.
Wie ist sie schön!
Die Goldene ist blühend, strahlend, ganz in Blüte!
Für Dich singt die ganze Erde,
für Dich tanzt jeder, der lebt.
Die Beiden Länder und die
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