Im Land des Falkengottes. Echnaton
der Letzte von ihnen die Spitze dieses Menschenturms bilden konnte. Den unteren Zwölf trieb es jetzt den Schweiß aufdie Stirn, und ihre Adern schwollen gefährlich an. Alle Gäste klatschten wild, Begeisterungsrufe erschallten. Das war das Zeichen für die Nubier, die von ihnen gebildete Pyramide aufzulösen. In wenigen Augenblicken rutschten die drei Jünglinge von der Spitze des Turmes auf dem Rücken der anderen nach unten, und kaum waren sie dort angelangt, folgten ihnen die nächsten drei. So ging es weiter, bis alle wieder am Boden versammelt waren und stolz, aber völlig außer Atem unseren Beifall entgegennahmen.
In wilden Bewegungen sprangen sie plötzlich wieder los, und ehe wir es uns versahen, formten sie alle eine unendlich lange Spirale, die sich dann in vier ineinander gestellte Kreise umwandelte. Den äußeren und größten Kreis bildeten wieder die Trommler. Den zweiten nur die Frauen, den dritten Männer, den innersten wieder Frauen. In jeweils entgegengesetzter Richtung tanzten und sprangen sie jetzt wieder los, sangen dabei und klatschten in die Hände. Dann machten sie alle kehrt, und es ging in die andere Richtung weiter. Nach einer Weile bildete sich wieder die Spirale, und schließlich zogen sie alle wie eine unendlich lange Schlange, wie ein aufgelöster Uroboros, hinaus aus dem Saal. Ihr Auftritt war beendet. Die königliche Familie und ihre Gäste waren begeistert, und Merimes, der Königssohn von Kusch, war sichtlich mit seinen Nubiern zufrieden.
Es folgten noch einige Gruppen mit Musikanten und Tänzern, aber keine von ihnen rief noch einmal eine derartige Begeisterung hervor, sodass sie alle nur noch eine angenehme Umrahmung des Festes bildeten, nicht mehr. Jetzt kam Bewegung in das Fest, denn die Gäste gingen allmählich umher und tauschten Plätze, um sich auch mit anderen unterhalten zu können. So trafen Ti und ich endlich auf Iset und meinen alten Freund Acha, auf den Verwalter Tahuti und auf Amenophis, Sohn des Hapu. Der alte weise Mann hatte sichtlich Freude an dem Fest, und er meinte, es sei von den vier Krönungsfeierlichkeiten, dieer bereits erlebt hatte, die schönste. Es tat ihm gut, wie er vor uns seine lange Lebenserfahrung herausstellen durfte, aber wir gönnten ihm diese kleine Befriedigung seiner Eitelkeit, konnte doch kaum einer wie er Wahres und Halbwahres zum Besten geben.
Irgendwann stand ich allein mit Acha auf der Treppe zum großen Hof, und wir sahen hinab auf die Tausenden Beamten, Schreiber und Verwalter, die sich dort mit ihren Frauen, Töchtern oder Freundinnen tummelten und sich lauthals singend vergnügten.
«Hier herrscht schon ein wenig mehr Leben», stellte Acha nüchtern, doch herausfordernd fest und trank wie zur Bekräftigung einen keineswegs kleinen Schluck Wein.
«Hm», brummte ich nur, während Acha auch schon fortfuhr: «Außerhalb dieser Mauern spielt sich das wahre Leben ab, mein Freund. Die haben wahrscheinlich gar keine Vorstellung davon, wie anständig wir uns hier benehmen müssen.»
«Und wir nicht davon, was die da draußen sich alles einfallen lassen», setzte ich nach.
Es war seltsam, an Abenden wie diesem beneidete ich oft die Menschen jenseits der Palastmauern. Sie konnten ihresgleichen frei heraus die Meinung sagen. Sie sangen und feierten, ohne dass jemand daran Anstoß genommen hätte. Von ihnen erfuhr man wenigstens die Wahrheit. Hatte sich nicht auch mein Vater immer gern bei ihnen aufgehalten? Dennoch wollte ich mein Leben nicht gegen das ihre tauschen.
«Hattest du nicht bei Nimurias Krönungsfeier eine Tänzerin oder Sängerin kennen gelernt und dich unsterblich in sie verliebt?»
Ich führte den Weinbecher an meinen Mund und ließ meine Zunge an seinem Rand hin und her tanzen, bevor ich trank. Dann sah ich Acha an und nickte und lachte in mich hinein.
«Was war ich damals verliebt! Wenn sie ja gesagt hätte, wäre ich mit ihr sogar bis nach Äthiopien, bis an den Atbara in diefreiwillige Verbannung gegangen. Aber sie war vernünftiger als ich. Sie sagte, sie gehörte nicht zu mir und verschwand einfach. Weg – sie war einfach weg. Ameni hatte nichts gegen eine Verbindung mit ihr, und so ließ ich sie überall suchen. Überall, in jedem Mauseloch, in jeder Spelunke von Waset und in jedem Dorf zwischen On und Abu.»
Ich sah Acha an, ehe ich fortfuhr: «Was mag aus ihr wohl geworden sein? Sie war etwas älter als ich. Ob sie überhaupt noch lebt?»
Acha wollte nun natürlich nicht nachstehen. «Weißt du noch,
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