Im Land des Regengottes
ihm …?
Nein, das war undenkbar.
Vielleicht, hoffentlich hatte Petrus ebenfalls vergessen, was zwischen uns passiert war, immerhin hatte auch er Dagga geraucht. Und wenn wir es beide nicht mehr wussten, dann wurde das Geschehene dadurch wieder ungeschehen.
Seine Mutter. Sie hatte alles gesehen. Sie wusste, was wir getan hatten. Das Dagga war die Frucht der Erkenntnis, von der wir gekostet hatten. Petrus war Adam, ich war Eva und seine Mutter war der Engel mit dem Flammenschwert.
Sie hatte uns aus Eden vertrieben.
16
Bis zum Mittag redeten wir kein Wort. Wir wanderten schweigend durch das karge Land, auf dem das silberne Gras in sanften Wellen bis zum Horizont schwappte. Über uns kreisten Geier. Hin und wieder tauchten Erdmännchen am Wegrand auf und blickten uns aus schwarzen Knopfaugen so irritiert an, als hätten sie noch nie einen Menschen gesehen. Vielleicht hatten sie tatsächlich noch nie einen Menschen gesehen.
Einmal sah ich zwei Giraffen. Sie reckten ihre Hälse über einen Kameldornbaum und fraßen die gefiederten Blätter von den oberen Zweigen. Wie schön sie waren, die langen gemusterten Hälse so kraftvoll und wendig. Kamelopard nannten die Einheimischen die Tiere. Der Name passte besser als Giraffe.
Ein paarmal endete unser Weg im Nichts, die Radspuren verliefen im Sande. Aber Petrus ging einfach weiter schnurgeradeaus, ohne sich umzusehen, ohne zu zögern. Irgendwann tauchten die Spuren wieder auf.
Ich hatte meine Schuhe im Nama-Dorf zurückgelassen, stattdessen trug ich jetzt ein Paar leichte Ledersandalen, die mir eine von Petrus’ Schwestern geschenkt hatte. Die Sandalen waren an den Fersen und Fußspitzen offen, sodass ich mir keine Blasen lief.
Mittags rasteten wir im Schatten eines Köcherbaumes.
»Du solltest schlafen«, sagte Petrus. »Du bist müde vom Dagga.«
»Ich kann doch hier nicht schlafen«, wehrte ich empört ab.
Aber nachdem ich einen Schluck Wasser getrunken hatte, sank mein Kopf wie von selbst gegen den Baumstamm. Als ich die Augen wieder aufschlug, stand die Sonne nicht länger über dem Baum, sondern links daneben. Zwei Geier saßen in der Baumkrone und starrten hoffnungsvoll auf mich herunter. Mein Kopf lag in Petrus’ Schoß. Ich fuhr so erschrocken hoch, dass er ebenfalls zusammenschreckte.
»Wie lange habe ich geschlafen?«
Petrus stand auf und reichte mir die Kalebasse. »Geht’s besser?«, fragte er zurück.
Ja, es ging mir tatsächlich besser. Mein Kopf dröhnte nicht mehr, ich spürte nur noch ein leises Summen, ein Nachklang der Schmerzen. Auch meine Wut auf Petrus war wieder verflogen. Er hatte recht, ich verstand wirklich nichts von seinen Leuten. Es war das Beste für uns alle, dass er mich nun nach Warmbad brachte. Hoffentlich sah Fräulein Hülshoff das genauso.
»Was wird Freudenreich dazu sagen, dass du heute nicht zur Arbeit gekommen bist?«, fragte ich Petrus, als wir weitergingen. »Hast du keine Angst, dass er dich rauswirft?«
Petrus zuckte mit den Schultern. »Ich kann nichts machen. Meine Mutter hat Maria zur Station geschickt, um Bescheid zu geben, dass ich krank bin. Aber wenn Freudenreich ihr nicht glaubt, dann habe ich Pech gehabt.«
»Du musst mich doch gar nicht nach Warmbad begleiten. Ich kann allein gehen.«
Petrus lächelte. Er hatte recht, es war lächerlich. Ich hatte es ja bereits allein versucht und war gescheitert. Nicht einmal bis Keetmanshoop war ich gekommen.
»Wie lange werden wir brauchen, bis wir da sind?«
»Zwei Wochen, vielleicht drei. Wenn uns ein Ochsenwagen mitnimmt, sind wir schneller.«
Gegen Mittag erreichten wir ein Gatter – und einige Stunden später tauchte ein Farmhaus zwischen den Felsbrocken auf.
»Natürlich können Sie hierbleiben«, sagte die deutsche Bauersfrau, die mir die Tür öffnete. »Wenn Sie mit einem einfachen Lager vorlieb nehmen.«
»Aber gerne.« Erfreut trat ich in den Flur. Die Frau schloss die Haustür, bevor Petrus mir folgen konnte.
»Was ist mit … meinem Begleiter?«, fragte ich verwirrt.
»Den Kaffer bringen wir später im Stall unter«, erklärte die Frau. »Man kann ihm doch trauen, oder? Nicht dass er sich in der Nacht mit unserem Rind davonmacht.«
Sie hieß Frau Sehl und war eine rundliche, rotbackige, fröhliche Westfälin, die vor acht Jahren mit ihrem Mann aus Kamen ausgewandert war. Ihr Haus war sehr einfach, eine Stube mit Lehmboden, unter der Zimmerdecke war ein Stück Leinenstoff von einer Ecke des Raumes zur anderen gespannt. An den
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