Im Land des Roten Ahorns
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»Guten Morgen, meine Herren«, begrüßte Jaqueline die Männer, die sie abschätzig musterten, als würde sie ebenfalls verpfändet. »Ich hoffe, dass wir am heutigen Tag alle Verbindlichkeiten klären können und jeder von Ihnen zufrieden nach Hause geht.« Obwohl sie sich um eine feste Stimme bemühte, hatte sie den Eindruck, dass sie erbärmlich klang.
Glücklicherweise erschien in diesem Moment Martin Petersen.
Nachdem Jaqueline ihn begrüßt hatte, wandte er sich sofort an die Gläubiger. Seine Erläuterungen fielen geschäftsmäßig kurz aus. In Fällen wie diesen gehe es nicht um Emotionen, sondern um eine nüchterne Aufrechnung der Werte, sagte er.
Jaqueline lauschte seinen Worten nur beiläufig. Die Frage, wo Fahrkrog blieb, marterte sie. Beim Gedanken an ihn wurde ihr plötzlich ganz heiß. Werde ich kühl bleiben können, wenn ich in seine Fratze blicken muss? Wird er mich vor allen in Verlegenheit bringen?
Als Jaqueline sich schon darüber freuen wollte, dass der Gläubiger nicht auftauchte, erschien ein Mann, der sich als Vertreter von Richard Fahrkrog vorstellte.
»Mein Name ist Markus Braun«, erklärte er hochnäsig und setzte hinzu, dass er Anwalt sei.
Seine Kleidung erinnerte jedoch eher an die eines Zuhälters. Sein Mantel aus einem teuren braunen Wollstoff war mit Zobelpelz gesäumt. Der auffallend grelle Schal, den er sich um den Hals geschlungen hatte, wirkte wie der eines Dandys, der auf dem Weg zu einem zweifelhaften Etablissement war. Seine Augen waren dunkel, und als Jaqueline sein Gesicht mit dem boshaften Lächeln sah, musste sie an einen Haifisch denken. Ein Schauder lief über ihren Rücken.
Schließlich traf der Gerichtsvollzieher ein. Er war hochgewachsen und hager, seine Wangen wirkten käsig, und seine Augen waren von dunklen Ringen umgeben. In dem dunklen Lodenmantel und mit seiner Melone auf dem Kopf glich er einem Bestatter.
»Fräulein Halstenbek, darf ich vorstellen, Nikolaus Maybach. Als amtlich bestellter Gerichtsvollzieher wird er die Versteigerung leiten.«
Jaqueline blickte Petersen verwundert an. »Aber ich dachte, Sie ...«
»Es ist üblich, dass ein Gerichtsvollzieher bei Vorgängen dieser Art dabei ist. Dann kann später niemand behaupten, übervorteilt worden zu sein.«
Zögerlich reichte sie dem Gerichtsvollzieher die Hand. Dieser verzog keine Miene, als er sich andeutungsweise verbeugte.
»Wenn ich mich nicht täusche, sind wir jetzt vollzählig«, verkündete Petersen nun, der ein Klemmbrett in der Hand hielt, auf dem offenbar einige Listen befestigt waren. »Kommen wir nun zur Besichtigung des Hauses und der Wertgegenstände.«
Während die Gläubiger und Anwälte durch die Räume trampelten, war Jaqueline so beklommen zumute, als würden die Männer ihre Wäschekommode durchwühlen oder in ihrem Tagebuch schnüffeln. Mit verschränkten Armen folgte sie dem Tross schweigend. Nur wenn sich zwei Gläubiger um ein bestimmtes Stück rissen, wurde Jaqueline von grimmiger Heiterkeit erfasst.
Sie benehmen sich wie Wölfe, dachte sie. Streiten sich bis aufs Blut. Fehlt nur noch, dass sie mit Fäusten aufeinander losgehen.
Kutschwagen fuhren vor, auf denen die ausgewählten Gegenstände abtransportiert wurden. Hübsche Kommoden und Schränkchen, goldgerahmte Bilder, der Kronenleuchter aus der Wohnstube, Trophäen ihres Vaters und eine wunderschön bemalte Truhe wurden fortgeschleppt, neugierig beobachtet von Passanten und Nachbarn, die sich eingefunden hatten, um das Schauspiel zu verfolgen.
Jaqueline wusste nicht, was erniedrigender war: die Pfändung oder die Blicke derer, die sich an ihrem Elend ergötzten.
Nach und nach leerten sich die Räume. Was die Lastenträger nicht bewegen konnten oder deren Auftraggeber erst später abholen wollten, beklebte der Gerichtsvollzieher mit Pfandmarken.
Höhnisch schienen die bedruckten Papierstücke Jaqueline anzugrinsen, während sie wie betäubt neben dem Fenster stand und darauf wartete, dass auch der letzte Gläubiger sich endlich verabschiedete.
Fahrkrogs Anwalt suchte hin und wieder ihren Blick, doch Jaqueline wich ihm aus. Der Geldverleiher umgab sich offenbar nur mit seinesgleichen, denn sie fand Braun ebenso widerlich wie seinen Mandanten.
Als sie, die Schaulustigen ignorierend, in den vom Sonnenlicht vergoldeten Himmel blickte, kam ihr Warwicks Schilderung vom winterlichen Kanada in den Sinn.
Dunkle Wälder mit schneebedeckten Zweigen, Frost, der alles erstarren ließ, eine Sonne, die den
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