Im Land des Roten Ahorns
diesmal ihre Tasche trug, während er auf die Tür mit der Nummer 7 deutete. »Ruhen Sie sich ein wenig aus, bevor wir zum Abendessen runtergehen.«
»Vielen Dank, Mr Warwick.«
»Gut, dann treffen wir uns in einer Stunde. Sie freuen sich bestimmt auf ein Bad!«
Lächelnd wandte Warwick sich einer Tür zu, die am Ende des Korridors lag.
Abendessen, hallte es wohltuend in Jaqueline nach, während sie den Schlüssel ins Schloss schob. Endlich mal kein Trockenfleisch und keine Hartkekse. Ich fürchte, ich bin doch keine Abenteurerin, jedenfalls, was die Verpflegung betrifft.
Als sie den Blick durch den einfach eingerichteten Raum schweifen ließ, entdeckte sie neben dem Messingbett auch einen Schminktisch und einen Schrank. Die Wärme, die ein kleiner Ofen verströmte, hüllte sie ein und gab ihr ein Gefühl von Behaglichkeit.
Wie der Wirt versprochen hatte, stand bald alles für ein Bad bereit. Die Zinkwanne war zwar nur groß genug, um darin zu sitzen. Dafür dampfte das Wasser in den Eimern, und es gab sogar einen Flasche Badeöl.
Erfreut über diese schrecklich entbehrte Annehmlichkeit, schälte Jaqueline sich aus ihren klammen Kleidern. Wenig später erfüllte der Duft von Kiefern die Luft. Während ihr Körper vom warmen Wasser umschmeichelt wurde, war Jaqueline gewillt, die Strapazen der vergangenen Tage zu vergessen. Genießerisch schloss sie die Augen und lehnte sich zurück.
Vielleicht wird ja doch noch alles gut.
Nach dem Bad durchforstete sie ihre Garderobe nach etwas Passendem für den Abend. Viel Auswahl hatte sie nicht. Außerdem stellte sie fest, dass der Inhalt ihrer Tasche die Reise nicht unbeschadet überstanden hatte. Die meisten Kleider waren so stark zerknittert, dass sie ein Bügeleisen gebraucht hätte.
Glücklicherweise war ein Kleid von groben Knitterfalten verschont geblieben.
Nehme ich eben das, dachte sie, während sie es auf dem Bett ausbreitete. Anschließend setzte sie sich an den Schminktisch.
Viele Möglichkeiten, sich zu verschönern, hatte sie nicht, aber wenigstens ihr Haar wollte sie ein wenig entwirren. Während der Fahrt hatte sie nicht oft die Gelegenheit gehabt, sich zu frisieren. Deshalb blieb ihr Kamm immer wieder an Knoten und kleinen Nestern hängen.
Da klopfte es an der Zimmertür. »Miss Halstenbek, sind Sie so weit?«, fragte Warwicks Stimme.
Jaqueline blickte erschrocken ihr Spiegelbild an. In Unterwäsche wollte sie Warwick nicht gegenübertreten.
»Einen Moment, bitte, ich bin gleich fertig!«, rief sie, während sie zum Bett eilte, hastig die Stiefeletten schnürte und ihr Kleid überwarf.
Es war aus zartgrüner Baumwolle gefertigt und hatte in Hamburg wegen des weiten Rocks und des hohen Stehkragens altmodisch gewirkt. Dort bevorzugten die Frauen inzwischen enger geschnittene Kleider mit raffinierten Turnüren. Aber wahrscheinlich war diese Mode noch nicht über den Ozean gelangt. Da Jaqueline keine Krinoline mitgenommen hatte, fiel es in Falten über ihre Hüften. Dennoch stand es ihr hervorragend, wie ein Blick in den Spiegel bestätigte.
Nachdem sie ihre Haare gerichtet hatte, öffnete sie die Tür.
Warwick, der ungeduldig von einem Fuß auf den anderen getreten war, blieb wie angewurzelt stehen. »Sie sehen ganz bezaubernd aus, wenn ich das sagen darf. Sie werden da unten eine Rose zwischen Gänseblümchen sein.« Er reichte ihr den Arm und führte sie zur Treppe.
Jaqueline errötete so tief, dass sie bedauerte, keinen Fächer zu haben, hinter dem sie ihre Verlegenheit verbergen könnte.
Von unten drang munteres Klaviergeklimper herauf, wie sie es nur aus Hamburger Hafenkneipen kannte. Sie hatte solch ein Lokal zwar nie betreten, aber wenn sie mit ihrem Vater in der Kutsche den Hafenkai entlanggefahren war, waren die Lieder nicht zu überhören gewesen.
Im Schankraum hatten sich viele Menschen versammelt. Der Zigarrenqualm brannte in Jaquelines Augen und Nase, als Warwick sie an einen der wenigen freien Tische bugsierte.
Männer in groben Holzfällerhemden, abgewetzten Lederwesten und blauen Hosen waren ebenso vertreten wie vornehme Herren in Gehröcken. Andere trugen helle Hemden zu exotisch gemusterten Westen. Beinahe ausnahmslos trugen die Männer Stiefel wie Warwick, einige sogar solche mit Sporen.
Außer den Kellnerinnen entdeckte Jaqueline nur wenige Frauen. Doch diese waren provokant gekleidet und legten ein Verhalten an den Tag, das ehrbaren Bürgern missfallen musste.
Fahrkrogs Drohung hallte wieder durch Jaquelines Kopf.
Das
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