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Im Land des Roten Ahorns

Im Land des Roten Ahorns

Titel: Im Land des Roten Ahorns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claire Bouvier
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Licht.
    Hat sich der Eindringling an meiner Tasche zu schaffen gemacht? Aber dann hätte die Schranktür geknarrt. Oder nicht? Jaqueline zog einen Flügel auf.
    Soweit sie es beurteilen konnte, stand die Teppichtasche noch immer an ihrem Platz. Vorsichtshalber durchsuchte sie sie erneut, doch der Inhalt war unverändert.
    Erleichtert aufatmend strich sie sich mit der kalten Hand über die glühende Stirn. Vielleicht habe ich mir all das nur eingebildet. Durchaus möglich, dass die Geräusche von nebenan gekommen sind, so dünn, wie die Wände hier sind.
    Aber völlig überzeugte dieser Gedanke sie nicht. Jaqueline huschte zur Tür und überlegte, ob sie Alan davon erzählen sollte. Wahrscheinlich wird er mich für überspannt halten und mir erklären, dass ich nur schlecht geträumt habe, überlegte sie. Immerhin habe ich keinen Beweis dafür, dass wirklich jemand hier war.
    Also drehte sie den Schlüssel um und kehrte ins Bett zurück.

5

    Einen Tag später, nachdem sie nach einem kräftigen Frühstück in aller Frühe aufgebrochen waren, erreichten sie in den späten Nachmittagsstunden Chatham.
    Der Ort enttäuschte Jaqueline, denn er ähnelte eher einer größeren Siedlung als einer Stadt. Bis auf wenige Ausnahmen waren sämtliche Gebäude aus Holz. Die Hauptstraße war nichts weiter als ein breiter, matschiger Weg voller Räderspuren, der sich in der Ferne im Wald verlor.
    Ein paar Hunde bellten, als der Wagen an den Häusern vorüberrumpelte. Bewohner, die gerade aus der Tür traten, oder Passanten, die über die hölzernen Gehsteige eilten, blickten sich nach ihnen um.
    Jaqueline hätte erwartet, dass Warwick grüßen würde, doch er zog nicht einmal dann den Hut, wenn Leute stehen blieben und ihn anschauten. Offenbar waren sie Luft für ihn.
    Verunsichert nickte sie einigen von ihnen zu, bis Warwick sagte: »Lassen Sie das lieber! Die Menschen hier sind Fremden gegenüber misstrauisch. Durch einen Gruß kann man ihre Zuneigung nicht gewinnen.«
    Diese Bemerkung stimmte Jaqueline nachdenklich. Kann es sein, dass er ein Eigenbrötler ist, dem es nie gefallen hat, sich mit seinen Nachbarn anzufreunden?, fragte sie sich.
    »Wo liegt Ihr Haus denn?« Jaqueline schaute die Straße entlang. Kein Gebäude erweckte den Eindruck, dass es einem reichen Kaufmann gehöre.
    »Ein Stück außerhalb der Stadt. Und es sieht besser aus als ganz Chatham.«
    Jaqueline hoffte nur, dass er nicht zu viel versprochen hatte. Was hat ein Mann wie Warwick nur in solch einem gottverlassenen Nest zu suchen?, fragte sie sich.
    Eine halbe Stunde später gelangten sie auf eine Anhöhe, die von einem Gebäude gekrönt wurde. Da es von weitem wie eine Villa wirkte, bezweifelte Jaqueline nicht, dass es sich um Warwicks Domizil handelte.
    Endlich!, dachte sie voller Vorfreude. »Ist das dort oben Ihr Haus?«
    »Ja, das ist es. Es gibt noch einiges dran zu tun, aber ich bin zuversichtlich, dass es bald wieder im alten Glanz erstrahlt.« Warwicks Stimme verriet Stolz.
    Wahrscheinlich wird es durch alle Ritzen ziehen. Und hoffentlich tanzen die Mäuse nicht auf dem Tisch, dachte Jaqueline und schämte sich im selben Moment dafür. Sie bemühte sich, ihre Enttäuschung zu verbergen.
    Du benimmst dich wie eine verwöhnte Göre, schalt sie sich selbst. So hast du doch früher nicht gedacht. In deinem Elternhaus hat es auch gezogen, und du hast dich nie beklagt.
    Je näher sie dem Gebäude kamen, desto offensichtlicher wurden seine Schäden. Jaqueline musste aber zugeben, dass es nach einer Renovierung durchaus ein schönes Haus sein könnte. Noch blickte sie allerdings auf rissige Wände, marode Fensterrahmen und eine Eingangstür, von der die Farbe abblätterte. Die Treppe, die zum Eingang führte, war an vielen Stellen beschädigt. Und Reste von Efeu klammerten sich wie Totenfinger an die Veranda.
    Jaqueline schauderte unwillkürlich.
    Im Sommer sieht es hier sicher freundlicher aus, tröstete sie sich, während ihr ein Makel nach dem anderen ins Auge stach: Sprünge in den Bodenplatten, mit denen der Weg in den Garten gepflastert war; von Unkraut überwucherte Beete; ein eingefallenes Scheunendach; ein Scheunentor, das schief in den Angeln hing. Hoffentlich ist das Innere ein wenig gastlicher, dachte Jaqueline, als Warwick ihr vor der Scheune vom Wagen half.
    »Nun, wie finden Sie mein kleines Reich?« Begeistert betrachtete er sein Anwesen.
    »Es ist ganz reizend«, schwindelte sie in der Hoffnung, dass Warwick ihr nicht ansah, was sie wirklich

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