Im Land des Roten Ahorns
dachte.
Nachdem er ihr Gepäck und eine Kiste vom Wagen abgeladen hatte, stiegen sie die Treppe hinauf und traten ein.
Die Eingangshalle war zur Abwechslung eine positive Überraschung. Sie erinnerte Jaqueline an die ihres Elternhauses, denn an den Wänden fanden sich neben Jagdtrophäen auch kleine Gemälde.
Offenbar ist er kunstsinnig, dachte Jaqueline, während sie sich umschaute.
»Kommen Sie, ich zeige Ihnen Ihr Zimmer«, eröffnete Warwick ihr, nachdem er die Kiste abgestellt hatte.
Er nahm Jaqueline die Tasche ab und führte sie nach oben.
Die hölzerne Treppe knarrte bedrohlich unter ihrem Gewicht. Als Jaqueline nach dem Geländer griff, bemerkte sie, dass es wackelte. Rasch zog sie die Hand zurück.
Einen Teppich im oberen Korridor gab es nicht. Jaqueline registrierte einige beschädigte Lampenschirme und gewahrte die Staubschicht, die auf dem Boden lag.
Ob er keine Haushälterin hat?, überlegte sie, wagte jedoch nicht, danach zu fragen.
Vor einer Zimmertür blieb Warwick stehen. Er schaute sie forschend an. »Noch nicht sehr repräsentativ, nicht wahr?«
Jaqueline senkte verlegen den Blick. Ist mir die Verwunderung über diesen Zustand so sehr anzusehen?
»Das würde ich nicht -«, hob sie an, aber Warwick fiel ihr ins Wort.
»Sie sind sehr freundlich. Ich bin mir der Notstände sehr wohl bewusst. Das Haus ist ein Geldgrab. Aber wenn es erst fertig renoviert ist, wird mich jeder in der Gegend um dieses Schmuckstück beneiden. Sie bekommen jedenfalls eines der besten Zimmer.«
Als er die Tür öffnete, fiel Jaquelines Blick in einen hübsch eingerichteten Raum. Das Messingbett sah wie neu aus. Die Decken und Kissen waren frisch bezogen, denn ein schwacher Lavendelduft ging von ihnen aus. Außerdem gehörten ein Schminktisch, ein Schrank und eine kleine Kommode zum Mobiliar. Auf dem Stuhl vor dem Schminktisch stand ein Waschgeschirr aus Porzellan, über der Lehne hingen Handtücher. Makellos weiße Spitzengardinen und blaue Vorhänge zierten das Fenster.
Wahrscheinlich hat Warwick es vollkommen neu eingerichtet, nachdem ich ihn von meinem Besuch in Kenntnis gesetzt habe, dachte sie.
»Gefällt es Ihnen?« Warwick war beiseitegetreten und schaute seinen Gast erwartungsvoll an.
Jaqueline nickte. »Es ist wunderschön.«
»Nun, dann fühlen Sie sich wie zu Hause, und richten Sie sich ein! Ich habe bislang noch kein Personal, aber ich bin sicher, dass ich Ihnen eine anständige Abendmahlzeit vorsetzen kann.«
Obwohl Jaqueline nicht hungrig war, bedankte sie sich. Sobald Warwick sich zurückgezogen hatte, schloss sie die Tür.
Ein mulmiges Gefühl beschlich sie plötzlich. Dass sie allein mit einem Junggesellen unter einem Dach leben sollte, behagte ihr gar nicht. Wenn wenigstens Personal im Haus wäre, dachte sie. Was sollen denn die Leute von mir denken, wenn sie das erfahren? Hoffentlich wird mir das nicht zum Nachteil gereichen, wenn ich mich auf die Suche nach einer Anstellung mache. Wenn ich gewusst hätte, dass er ganz allein lebt, hätte ich sein Angebot vielleicht nicht angenommen. Immerhin soll niemand denken, dass ich keine Moral habe.
Ratlos knetete sie die kalten Hände. Aber letztlich kam sie zu dem Schluss, dass sie erst einmal keine andere Wahl hatte, als hierzubleiben.
Es ist ja nicht für immer, tröstete sie sich. Wenn ich Arbeit finde, wird mein Dienstherr mir sicher helfen, eine andere Unterkunft zu finden.
Im letzten Ort hatte sie Ausschau nach Geschäften und Schulen gehalten und dabei entdeckt, dass es eine Eisenbahnlinie gab. Offenbar befand sich die Stadt im Aufwind. Gut möglich, dass man hier und da eine Hilfe brauchte. Vielleicht war auch jemandem daran gelegen, dass seine Kinder Deutsch lernten. Mit der Ausbildung, die sie von ihrem Vater erhalten hatte, musste sich doch etwas anfangen lassen!
Sie war entschlossen, sich so schnell wie möglich eine Anstellung zu suchen. Doch jetzt blieb ihr erst einmal nur, ihre wenigen Habseligkeiten auszupacken und sich einzurichten.
Die erste Nacht in diesem Haus verbrachte Jaqueline voller Unruhe. Sie hatte gehofft, dass vier Wände und ein Dach über dem Kopf reichen würden, um ihr ein wenig Geborgenheit zu geben. Doch sie hatte sich getäuscht.
So ängstlich wie jetzt war sie nicht einmal während der Übernachtungen im Wald gewesen. Schlaflos wälzte sie sich im Bett hin und her. Überall knarrte und knackte es in den Wänden. Der Wind raunte und pfiff vor ihrem Fenster. Das Klappern eines Fensterladens zerrte an
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