Im Land des Roten Ahorns
Connor offenbar nichts dagegen hatte, wenn eine Frau selbstbestimmt leben wollte, wärmte Jaquelines Herz und gab ihr Auftrieb.
Nach einer Weile fühlte sie sich schon wieder stark genug, um aufzustehen. In dicke Decken gehüllt, saß sie abends oft mit Connor auf der Bank vor der Hütte und lauschte dem Rauschen des Waldes.
»In wenigen Tagen ist es hier einfach traumhaft«, erklärte er bei einer solchen Gelegenheit mit einer ausladenden Handbewegung. »Der ganze Waldboden ist bedeckt mit gelben und weißen Blüten. In den Baumkronen hämmern die Spechte, und man kann eine Vielzahl von Vögeln beobachten. Es wird Ihnen gefallen.«
»Das glaube ich Ihnen aufs Wort. Ihnen scheint das Leben hier draußen sehr zu gefallen. Besser als das in der Stadt, nehme ich an.«
»Bin ich so schnell zu durchschauen?«, fragte Connor lachend.
»Man merkt es Ihren Worten an. So ähnlich hat mein Vater auch immer geredet, wenn er von seinen Reisen berichtet hat oder wenn er uns begeistert seine Karten zeigte. Die Sprache der Menschen mag unterschiedlich sein, aber ich glaube, der Tonfall, in dem man bestimmte Gefühle ausdrückt, ist immer derselbe.«
»Darüber habe ich nie nachgedacht, aber wenn Sie es sagen ...«
Connor betrachtete das Profil der Frau neben sich. Wieder fiel ihm ihre Schönheit auf. Die Krankheit hatte dunkle Ränder unter ihren Augen hinterlassen, und ihre Wangen waren eingefallen, doch all das minderte nicht das freundliche, natürliche Wesen dieser Frau, die mit ihrem aparten Aussehen und dem feuerroten Haar selbst in den Ballsälen von Montreal Aufmerksamkeit erregen würde.
»Wenn ich ehrlich bin, würde ich lieber im Wald leben, wenn ich könnte. Sie werden mir vielleicht widersprechen, aber ich finde das Leben in der Stadt anstrengend. Ständig muss man darauf achten, wie man sich benimmt und was man sagt. Zumindest wenn man dort bekannt ist, wird man ständig mit Erwartungen konfrontiert. Und wenn man sie nicht erfüllt, ist man erledigt.«
»Da widerspreche ich Ihnen überhaupt nicht. Auch auf unserer Familie lastete ein ziemlicher Druck. Als alles den Bach runterging, haben mich nicht mal mehr die Diener der Nachbarn gegrüßt. Wie schön wäre es doch, wenn wir überhaupt keinen Erwartungen gerecht werden müssten!«
»Das wäre das wahre Paradies. In dem Paradies, das uns die Kirche predigt, werden ja auch Erwartungen gestellt. Aber ich glaube, hier draußen, in dieser Hütte, haben wir immerhin Ruhe vor der Welt. Die Vögel, Bären und Wölfe interessieren sich nicht für uns.«
Jaqueline nickte. »Ich kann es kaum erwarten, den Wald zu erkunden. Gibt es wirklich Bären?«
»Mehr, als es einem lieb sein kann.« Monahan lachte. »Braunbären, Grizzlys, alles, was das Herz begehrt. Sollten Sie allein loslaufen, achten Sie bloß auf alte Bärenfallen. Und natürlich auf die Bären selbst. Es bringt nichts, sich vor ihnen ins Wasser zu flüchten oder auf einen Baum. Bären schwimmen und klettern besser als jeder Mensch.«
»Ich habe nicht vor, einen Bären zu reizen«, erklärte Jaqueline entschlossen. »Aber ich würde gern einen sehen.«
»Nun, ich glaube, dann sollten wir einen kleinen Ausflug machen, sobald es Ihnen noch besser geht. Ich weiß, wo sich die meisten Bären herumtreiben, und in meiner Begleitung brauchen Sie auch keine Angst zu haben. Wenn Sie wollen, bringe ich Ihnen sogar das Schießen bei, dann können Sie sich notfalls verteidigen.«
Jaqueline dachte an die Flinte im Arbeitszimmer ihres Vaters und an seine Jagdtrophäen. Sie hatte immer Mitleid mit den Tieren gehabt und bezweifelte, dass sie auf eines schießen könnte.
»Danke für das Angebot, aber ich sehe mir die Tiere lieber an, als dass ich sie töte.«
Connor lächelte breit. »Dann wollen wir mal hoffen, dass die Bären und Wölfe Sie in Ruhe lassen, damit Sie Ihre Meinung nicht ändern müssen.«
An das Gespräch dachte Connor noch immer zurück, als er sich am nächsten Abend, es war ein Sonntag, wieder bei den Bonvilles einfand. Ein berauschender Duft nach Gebratenem strömte ihm entgegen. Savannah versteht ihr Handwerk wirklich, ging ihm durch den Kopf, und er beschloss, der Köchin nachher noch im Namen von Jaqueline für den Sirup zu danken.
Marion hatte sich inzwischen wieder beruhigt und ihm vergeben, dass er das festliche Dinner hatte ausfallen lassen. Dennoch spürte er, dass sich irgendetwas zusammenbraute. Sein Schwiegervater in spe brachte ihm deutlich weniger Wärme entgegen als vorher.
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