Im Land des Roten Ahorns
ab.«
Jaqueline hoffte inständig, dass er Recht behalten würde.
9
Ein würziger Duft nach Erde, Holz und Laub umwehte Jaqueline und üppige Farne streiften ihren Rocksaum, als sie mit Connor den schmalen Weg entlangritt, der in die Stadt führte. Überall im Unterholz knackte und raschelte es. Das Echo des Hufschlags verhallte in der Dunkelheit. Ab und zu ertönte der Ruf eines Kauzes. In der Ferne jaulte ein einsamer Wolf. Dennoch fürchtete Jaqueline sich nicht vor der Natur. Es war eher die bevorstehende Gesellschaft, die sie ängstigte.
Warum habe ich mich nur darauf eingelassen?, fragte Jaqueline sich voll unguter Ahnung, während sie die Zügel fest umklammerte. Der Abend wird sicher sehr unangenehm. Und wer weiß, vielleicht verdirbt er mir sogar alle Chancen, in der Stadt eine Anstellung zu finden.
Connor dagegen schien sich keinerlei Sorgen zu machen. Zumindest ließ er es sich nicht anmerken. Offenbar glaubt er wirklich, dass mein Erscheinen die Gerüchte entkräften wird, überlegte Jaqueline skeptisch. Sie stellte sich innerlich bereits auf Ärger ein, denn die feine Gesellschaft konnte gnadenlos sein. Das hatte sie in Hamburg oft genug erlebt.
Vater, was würdest du mir raten?, fragte sie sich verzweifelt, aber ihr fiel keine Antwort ein.
Nachdem sie noch eine Weile durch den Wald geritten waren, stießen sie auf einen freien Weg, der von zahlreichen Pferdehufen und Wagenrädern aufgewühlt war. In der Ferne leuchteten Lichter.
»Ist das die Stadt?«, fragte Jaqueline, während sich ihr Herzschlag beschleunigte und sich ihr Magen schmerzhaft zusammenzog.
Am liebsten hätte sie kehrtgemacht, doch sie wusste selbst, dass das albern war. Du wirst das schon durchstehen, beruhigte sie sich. Vielleicht kannst du nützliche Kontakte knüpfen und dich ein wenig umhören. Es wäre doch möglich, dass dich einer der Anwesenden als Hauslehrerin oder Gouvernante einstellt. Dann fällst du Connor bald nicht mehr zur Last.
»Ja, das ist St. Thomas«, erklärte Monahan. »Im Moment noch nicht besonders imposant, aber glauben Sie mir, die Stadt hat Zukunft. In ein paar Jahren wird es hier gepflasterte Straßen und schöne Geschäftshäuser geben. Keine andere Stadt in der Gegend hat das Zeug dazu.«
Damit erreichten sie die Hauptstraße, welche die Stadt wie ein dunkles Band durchzog. Einige streunende Hunde bellten, und eine Katze nahm fauchend vor den Pferdehufen Reißaus.
Jaqueline erkannte sofort, welches Gebäude ihr Ziel war. Zahlreiche Kutschen reihten sich vor einer Villa mit Loggia, die von zwei hohen Säulen flankiert war. Die Fenster waren allesamt erhellt. Der Mond fiel auf glänzende Dachsteine. Jeder Quadratmeter dieses Anwesens kündete vom Reichtum seiner Bewohner.
Jaqueline war sprachlos angesichts dieses Palastes. Nur wenige Bauten in Hamburg konnten damit konkurrieren. Nicht mal die Häuser unserer Senatsmitglieder sind so groß, dachte sie. Wie mag es wohl im Inneren aussehen?
Die Erinnerung an die Pfändung ihres Elternhauses stieg wieder in ihr auf. Jaqueline unterdrückte die Tränen, als sie durch die Fenster in den hell erleuchteten Empfangssaal blickte. Schöne Feste hatte es früher auch bei ihnen gegeben. Und damals war ihre einzige Sorge gewesen, welches Kleid und welche Frisur sie tragen sollte.
Jetzt hatte sich alles geändert. Sie war vollkommen mittellos, hatte sich einen unberechenbaren Mann zum Feind gemacht und würde an diesem Abend vielleicht zum Gespött der Leute werden. Jaqueline seufzte.
Connor Monahan, warum tun Sie mir das an?, fragte sie sich erneut.
»Wollen Sie nicht absitzen?«
Monahans Stimme riss Jaqueline aus ihren trüben Gedanken. Erst jetzt bemerkte sie, dass er bereits abgestiegen war.
»Doch, sicher.«
»Darf ich Ihnen helfen?« Connor streckte ihr die Hand entgegen.
Jaqueline wehrte die Hilfe mit einem Kopfschütteln ab. »Danke, es geht schon.« Die Antwort war schroffer ausgefallen, als Jaqueline beabsichtigt hatte.
»Sie haben immer noch kein gutes Gefühl, nicht wahr?«, fragte Connor, nachdem er dem herbeigeeilten Stallburschen aufgetragen hatte, sich um die Pferde zu kümmern.
»Offen gestanden, nein. Aber was soll's? Auch dieser Abend wird vorübergehen. Vielleicht kann ich ja sogar den einen oder anderen nützlichen Kontakt knüpfen.« Jaqueline richtete ihr grünes Kleid und schob eine vorwitzige Strähne zurück in den Chignon.
Sie ist nervös, aber sie wird alles tun, um es nicht zu zeigen, dachte Connor bewundernd. Sie ist
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